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KommentarDer Impfstoffprotektionismus ist irrational

Anstatt eine interne Impf-Olympiade zu veranstalten, sollte der reiche Norden sich um eine gerechte Verteilung bemühen – auch aus pandemischen und ökonomischen Gründen.Jens Münchrath 15.03.2021 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Viele Staaten verbieten den Export von Vakzinen.

Foto: dpa

Die große Koalition gibt in diesen Tagen ein trauriges Bild ab. Da ist ein sichtlich angeschlagener Gesundheitsminister, der Deutschland „Logistikweltmeister“ nennt, obwohl es für alle wahrnehmbar im Chaos zwischen nicht haltbaren Ankündigungen zu Tests und Impfstoffen sowie folgenreichen Fehleinschätzungen versinkt.

Da ist eine zunehmend desillusionierte Kanzlerin, die längst nicht mehr in der Lage ist, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Da sind der Finanz- und der Wirtschaftsminister, die aus wahltaktischem Kalkül eher gegen – als miteinander Politik betreiben – und nicht imstande sind, die Wirtschaftshilfen so zu organisieren, dass sie auch dort ankommen, wo sie hinsollen. 

Nicht zu vergessen die Ministerpräsidenten, die manchmal den Eindruck vermitteln, stets öffentlichkeitswirksam loszusprinten – sei es in Richtung Lockerung oder Lockdown. Hauptsache schnell, Richtung zweitrangig. Armin Laschet und Markus Söder haben es hier zur wahren Meisterschaft gebracht.

Deutschland, noch vor einem halben Jahr in Europa als der Muster-Krisenmanager bewundert, wirkt hastig, dünnhäutig und alles andere als souverän. Die Lockdown-Zumutungen gepaart mit einer offensichtlichen Ineffizienz und obendrauf diskreditiert die Maskenaffäre das Vertrauen in die Politik – das ist eine gefährliche Mischung. Heftige Kritik an den Regierenden ist berechtigt.

In einem Punkt jedoch liegt die Bundesregierung richtig. Sie hat immer dafür gekämpft, dass der Impfstoff gerecht verteilt wird. Impfstoffe seien ein „globales öffentliches Gut“, hatte Angela Merkel gesagt. Sie zog daraus die richtige Konsequenz, die Impfstoffbeschaffung und -verteilung auf die europäische Ebene zu verlegen.

Und sie machte sich für Covax stark, jene WHO-Initiative, die mit einem Fünf-Millarden-Dollar-Fonds, gefüllt vor allem durch reiche Länder, zwei Milliarden Impfstoffdosen einkaufen und verteilen will. So soll jedes an Covax teilnehmende Land bis Ende des Jahres 20 Prozent seiner Bevölkerung immunisieren können.

Biden betreibt eine pandemische America-first-Politik

Wie richtig und wichtig diese Ansätze sind, zeigt sich vor allem jetzt, da Länder wie die USA anfangen, Exportstopps zu verhängen. Ausgerechnet Joe Biden, der als Präsident angetreten ist, um den Multilateralismus wieder aufleben zu lassen, betreibt nun eine pandemische America-first-Politik. Selbst den Impfstoff von Astra-Zeneca, der in den USA nicht einmal eine Zulassung hat, lässt er horten. Millionen Impfdosen bleiben ungenutzt.

Foto: Burkhard Mohr

Ähnlich sieht es in Großbritannien aus. Zwar gibt es auch dort kein Ausfuhrverbot, aber de facto machen die Verträge mit Astra-Zeneca Lieferungen an die EU im Moment unmöglich. Umgekehrt wurden aus der EU mindestens 34 Millionen Dosen Covid-Impfstoff exportiert – und das Vereinigte Königreich und die USA gehören zu den größten Empfängern.

Manche Europäer versuchen zumindest, das große Ganze im Blick zu halten. Aber auch in der EU geht wegen des stockenden Impfprozesses die Diskussion um den Vakzin-Protektionismus los. So hat Italien unlängst einen Exportstopp zulasten Australiens verhängt. 

Es ist so eine Sache mit den Handelsbeschränkungen: Impfstoffe sind äußerst komplexe Produkte mit unzähligen Substanzen, die aus den verschiedensten Ländern stammen. Gestörte Lieferketten bedeuten, dass am Ende die Gesamtzahl der produzierten Dosen niedriger ausfallen könnte. Das heißt, am Ende verlören womöglich alle – nur das Virus nicht.

Es herrscht weitgehend Konsens unter den Experten, dass wir diese Pandemie nur dann in Griff bekommen, wenn auch das letzte Land sie unter Kontrolle hat. Niemand kann wollen, dass ein ständiger Nachschub gefährlicher Mutationen aus den ärmeren Regionen des Planeten die Pandemie immer wieder anfacht.

Denn auch der ökonomische Schaden wäre beträchtlich. Nach einer Studie des Washingtoner Peterson Institute könnten die wirtschaftlichen Schäden „zehn- bis hundertmal“ so hoch sein wie die Kosten einer Durchimpfung der Weltbevölkerung – wenn die Pandemie nicht global eingedämmt wird.

Fokus auf die Vakzin-Produktion

Das heißt: Man muss also noch nicht einmal ethische Maßstäbe heranziehen, um zu erkennen, dass der Impfstoffprotektionismus am Ende irrational ist. Derzeit gibt es rund 130 Staaten, die kaum oder über gar keine Impfstoffe verfügen. Das ist der eigentliche Skandal.

Eine gerechte und gleichmäßige Verteilung des Impfstoffs, sodass zumindest die sensiblen Gruppen in möglichst vielen Länder geimpft werden können, ist wichtiger als die Frage, wer sich in den täglichen Impf-Hitlisten auf den ersten Rängen befindet.

Das gilt auch für die hierzulande geradezu hysterisch geführte Debatte, ob Europa zu wenig Impfstoff bestellt hat. Nicht die Frage, wer die meisten Dosen zur Verfügung hat ist für die Überwindung dieser Krise entscheidend, sondern vor allem, ob alles Menschenmögliche unternommen worden ist, um die Produktion der Vakzine zu beschleunigen.

So haben die USA 270 Millionen investiert, damit Merck seine Fabrik umrüstet und den Impfstoff von Johnson & Johnson produziert. Das ist die richtige Politik. Und hier liegen auch die wahren Versäumnisse der Europäer, für die staatliches Engagement bei der Impfproduktion vor allem aus der Perspektive eines Investitionsrisikos betrachtet wurde.

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Wenn ausreichend Impfstoff vorhanden ist, kommt es darauf an, diese Dosen möglichst schnell und effizient zu verimpfen –und hier dient der zupackende Pragmatismus der Briten und Amerikaner, wo sogar Tierärzte die Impfungen durchführen, tatsächlich als Vorbild.

Dass sich jetzt aber ausgerechnet der britische Premier Boris Johnson und auch Ex-Präsident Donald Trump als die Impf-Weltmeister feiern lassen, ist schwer erträglich. Denn sie waren es, die mit ihrer leugnenden Attitüde zu Beginn der Pandemie große Schuld auf sich geladen haben.

Mehr: Ein globaler Kampf gegen eine globale Pandemie – so sehen viele in der EU die Impfkampagnen. Umso größer ist der Frust über das Verhalten der USA und Großbritanniens.

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