Kommentar Der Inzidenz-Wahnsinn muss ein Ende haben

Eine hohe Impfquote ist gut und sollte als Indikator neben dem Inzidenzwert mitzählen.
Mit der steigenden Impfquote verliert die Sieben-Tage-Inzidenz an Bedeutung, an die sich viele gewöhnt haben wie an den täglichen Wetterbericht. Je größer der Wert, desto gefährlicher die Welle – mit dieser vereinfachten Formel machten Bund und Länder eineinhalb Jahre Corona-Politik.
Dieser Kurs lässt sich nicht mehr halten, der Inzidenz-Wahnsinn muss ein Ende haben. Der Wert sagt immer weniger über die Pandemie, weil sich die Infektionszahlen von den schweren Fällen mit den steigenden Impfquoten entkoppeln.
Wer vollständig geimpft ist, hat ein deutlich geringeres Risiko, schwer zu erkranken und andere anzustecken. Würde allein die Inzidenz noch länger den Unterschied zwischen Freiheiten und Lockdown machen, wäre das realitätsfremd.
Ohnehin war der Wert ein ungeliebter politischer Kompromiss mangels Alternativen. Zu Pandemiebeginn argumentierten Bund und Länder mit der Auslastung der Gesundheitsämter.
Später, als die Inzidenzen auf ungekannte Höhen schossen, mussten auch höhere Richtwerte her, die sich die Landesfürsten in stundenlangen Ministerpräsidentenkonferenzen zurechtkneteten. Plötzlich alarmierte nicht eine Inzidenz von 30, sondern von 100.
Impfquote, Krankenhaus- und Intensivbehandlungen als Gradmesser
Das Virus aber wurde durch die ansteckendere britische Variante sogar gefährlicher. Logik? Fehlanzeige.
Es ist deswegen richtig, dass weitere Indikatoren wie die Impfquote und die Zahl der Krankenhaus- und Intensivbehandlungen betrachtet werden sollen. Der Schritt wird der komplexer werdenden Pandemiegesellschaft aus Genesenen, Geimpften und Nicht-Geschützten gerecht.
Allerdings muss Bund und Ländern klar sein, was sie da fordern: Werden tatsächlich wieder Corona-Maßnahmen nötig, wird es noch schwerer, diese an klare Werte zu knüpfen. Der Vorteil des Inzidenzwerts war immer, dass ihn jeder sofort für seine Region nachvollziehen konnte. Wird nun ein Mix aus Kennzahlen der Gradmesser, ist dieser schwieriger zu erheben und auszuhandeln.
Wer glaubt, es ginge ohne die Inzidenz, der irrt. Insbesondere für Kinder und Jugendliche, die sich nicht oder nur eingeschränkt impfen lassen können und seltener auf der Intensivstation landen, ist sie ein wichtiger Indikator.
Steigen die Infektionen hier rasant, müssen möglicherweise auch Corona-Maßnahmen folgen, etwa für Schulen. Die geringere Zahl der schweren Fälle bedeutet nicht, dass Kinder und Jugendliche nicht auch unter Langzeitfolgen leiden. Erschöpfung und Konzentrationsschwäche sind bei Jüngeren besonders fatal, sie können eine Zukunft verbauen.
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