Kommentar Der Rücktritt von Amazon-Chef Jeff Bezos kommt zum richtigen Zeitpunkt

Mit 57 ist der bisherige Amazon-Chef für den Ruhestand zu jung, er hat nun aber mehr Zeit für seine nicht wenigen privaten Passionen.
Warum Jeff Bezos ausgerechnet jetzt seinen Rücktritt ankündigt, weiß wohl nur er. Schon in den letzten Jahren hat er sich verstärkt Projekten wie dem Raumfahrtunternehmen Blue Origin gewidmet und mit seiner neuen Partnerin Lauren Sanchez auf roten Teppichen ablichten lassen. Im Tagesgeschäft konnte er sich auf ein Führungsteam verlassen, das den Konzern nach seinen Prinzipien steuerte. Diese Konstruktion hätte gewiss noch länger funktioniert.
Jeder Führungswechsel bedeutet ein Risiko, doch der Zeitpunkt ist für Amazon günstig: Die Coronakrise hat der Konzern nach anfänglichen Schwierigkeiten gut überstanden, heute läuft das Geschäft so robust wie nie. Gleichzeitig gibt es mit Andy Jassy einen Nachfolger, der mit dem Aufbau von Amazon Web Services (AWS) innerhalb des Konzerns ein beeindruckendes Unternehmertum bewiesen hat. Die Frage ist nur, wie viel Freiheit der neue Chef bekommt.
Seit Jeff Bezos 1994 einen Onlinehandel für Bücher aufgemacht hat, ist er das Gesicht von Amazon. Den Konzern steuert er aber nicht allein. Eine Gruppe von Führungskräften, „S-Team“ genannt, trifft gemeinsam mit ihm strategische Entscheidungen.
Andy Jassy ist einer dieser Vordenker und verfolgt einen ähnlichen Stil wie sein Chef: Entscheidungen beruhen auf Daten, bei der Produktentwicklung wird aus Sicht der Kunden gedacht, auf Details kommt es an. An solchen Prinzipien werden alle Mitarbeiter gemessen.
Die Maschine, die Amazon nach Anleitung von Bezos aufgebaut hat, wird daher auch unter Jassy weiter auf Hochtouren laufen – anders als bei der Ernennung eines externen Managers dürfte das Risiko durch den Übergang gering sein. Zumal der Gründer als Vorsitzender des Verwaltungsrats und Großaktionär weiterhin Einfluss haben wird – auf die Strategie und, je nach Interpretation der Rolle, durchaus auch aufs Tagesgeschäft.
Bezos ist nun einige lästige Aufgaben los
Wie viel Freiheit der neue Amazon-Chef haben wird, das Unternehmen neu auszurichten, werden erst die kommenden Monate und Jahre zeigen. Bei AWS hat er das Geschäft mit IT-Infrastruktur aus der Cloud von null aufgebaut, heute erwirtschaftet es 45 Milliarden Dollar und ist hochprofitabel.
Microsoft und IBM haben diese Technologie mit ihren neuen Managementteams in den Mittelpunkt gestellt – auch Jassy wird sicher überlegen, welche Rolle sie bei Amazon spielt.
Bezos ist vermutlich froh, dass er einige lästige Aufgaben los ist, etwa Anhörungen zur Marktmacht in Washington oder Proteste der Arbeiter in den Logistikzentren. Diese Probleme dürften jedoch nicht weniger werden. Mit 57 ist er für den Ruhestand zu jung, er hat nun aber mehr Zeit für seine nicht wenigen privaten Passionen.
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