Kommentar Der Westen ist nicht machtlos gegen die Taliban

Taliban-Kämpfer in der afghanischen Stadt Farah, südwestlich von Kabul.
„Unsere Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt“, rechtfertigte im März 2004 der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck den Einsatz der Bundeswehr gegen das Taliban-Regime in Afghanistan. Jetzt sind die islamistischen Gotteskrieger dabei, das Land wieder in ihre Gewalt zu bekommen. Am Donnerstagabend wurde bekannt, dass auch die drittgrößte Stadt des Landes, Herat, gefallen ist.
Viele werden wie die Amerikaner sagen: Das ist nicht mehr unser Krieg. 20 Jahre hat die Bundeswehr in Afghanistan gekämpft, 59 deutsche Soldaten ließen dort ihr Leben. Eine unmittelbare Terrorgefahr wie zu den Hochzeiten von al-Qaida geht von Afghanistan zumindest im Moment nicht mehr aus. Und doch holt uns der Krieg am Hindukusch wieder ein, und zwar innen- wie außenpolitisch.
Gerade musste Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Rückwärtsrolle drehen und Abschiebungen nach Afghanistan vorerst aussetzen. Das Dilemma, wie der deutsche Rechtsstaat künftig mit Straftätern und Gefährdern verfahren soll, denen in ihrem Heimatland der kurze Prozess droht, wird auch die nächste Bundesregierung beschäftigen.
Noch wichtiger, weil dramatischer, ist die Lage von Hunderten Afghanen und ihren Familien, die für deutsche Organisationen in den vergangenen Jahren gearbeitet haben und jetzt um Leib und Leben fürchten müssen. Sie brauchen dringend eine schnelle, unbürokratische Hilfe, um noch lebend aus dem Land zu kommen.
Noch immer gibt es zu viele Hürden – von fehlenden Anlaufstellen vor Ort bis hin zu den komplizierten Aus- und Einreispapieren. Deutschlands Hilfe ist nicht nur eine moralische Pflicht. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik.
Opium und Lithium sind die Schätze des Landes
Bundesaußenminister Heiko Maas hat jetzt angekündigt, Deutschland werde seine Finanzhilfen von jährlich mehr als 400 Millionen Euro an Afghanistan einstellen, sollten die Taliban das Land zu einem Kalifat machen. Genauso wichtig wäre es jedoch, die eigenen Finanzquellen der Gotteskrieger trockenzulegen.
Afghanistan ist der weltweit größte Produzent von Opium, und für die Taliban ist die Droge die wichtigste Einnahmequelle. Die Islamisten versuchen, mithilfe von Steuern und Schmuggel die gesamte Drogenkette vom Anbau bis hin zum Export unter ihre Kontrolle zu bringen. Kundus wurde auch deshalb so schnell erobert, weil von dort die wichtigsten Schmuggelrouten im Norden des Landes kontrolliert werden.
Mit ähnlichen Mitteln beuten die Taliban die Rohstoffvorkommen des Landes aus. Dazu gehört auch das wertvolle Lithium, nach dem insbesondere Computer- und Handyhersteller weltweit händeringend suchen.
Der kriegsmüde Westen scheut aus nachvollziehbaren Gründen ein erneutes militärisches Eingreifen am Hindukusch. Das bedeutet aber nicht, dass wir machtlos zusehen müssen, wie die Taliban Afghanistan wieder zu einem Ort des Schreckens machen.
Mehr: Deutschland und die Niederlande setzen Abschiebungen nach Afghanistan aus
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Zur Motivation der afghanische Armee, habe ich ein interessantes Interview gelesen. Dort hieß es, dass man im Westen blauäugig dachte, dass es so etwas wie einen afghanischen Nationalismus gäbe. Gibt es aber nicht - die Loyalität gilt der Familie, dem Clan oder einem Warlord (Stammesführer). Da frage ich mich aber, warum hat die Bundeswehr nicht auf solche Experter:innen gehört?
So verrückt es klingt, man hätte vielleicht die Soldaten der einzelnen Warlords ausbilden und unterstützen sollen, die hätten der Taliban etwas entgegensetzen können.
Übrigens ich finde auch manche Entwicklungsansätze fragwürdig, insbesondere das Bekämpfen der Korruption. Ich manche Kulturen gehört sich gegenseitige Gefälligkeiten (Geschenke) zu machen zur Normalität. Aber nein, wir im Westen wollen alles, was wir für richtig halten mit Druck (oder Gewalt) durchsetzen. Die USA hat Recht. Die Afghanen müssen selbst für Ihr Land kämpfen. Die Frauen Afghanistan müssen auch selber für ihre Frauenrechte im Land kämpfen. So haben wir es ja im Westen letztlich auch gemacht.
Alleine die Amerikane haben über eine Billion (!!!) Dollar in dieses Land gepumpt. Die Gelder der anderen Nationen kommen hinzu. Wahnsinn. Und noch mehr Wahnsinn: Jetzt schaut man zu, wie das alles innerhalb weniger Monate auf Null gedreht wird. Von Gotteskriegern. Ich fasse es nicht. Biden mag besser sein als Trump, aber wirklich gute Präsidenten hatten die USA bisher nur wenige. Biden scheint nicht dazu zu gehören.
Nach 20 Jahren reicht die Motivation und Streitkraft der vom Westen unterstützen und aufgebauten Afghanischen Armee nicht aus, um auch nur ein paar Monate Widerstand gegen die Taliban zu leisten?
Wie kann das sein?
Armes Afghanistan. So schön und so traurig....