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KommentarDeutschland braucht ein Einwanderungsgesetz, das den Namen verdient

Sechzig Jahre nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei sollte die künftige Regierung Migranten aus dem Ausland effizient umwerben. FDP und Grüne könnten sich hier um das Land verdient machen.Frank Specht 01.10.2021 - 18:12 Uhr Artikel anhören

Ohne Einwanderer wird sich der Wohlstand in Deutschland nicht sichern lassen.

Foto: dpa

Sechzig Jahre ist es jetzt her, dass sich Deutschland auf den langen Weg hin zum Einwanderungsland machte – auch wenn das damals noch niemand wahrhaben wollte. Auf nur zwei Seiten regelten das Auswärtige Amt und die türkische Botschaft im Oktober 1961 die Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei.

Das Abkommen hat nicht nur mit zum Wirtschaftswunder in der jungen Bundesrepublik beigetragen. Es hat Deutschland auch nachhaltig verändert. Heute wissen wir: Ohne Migranten steht nicht nur unser künftiger Wohlstand auf dem Spiel. Denn nichts ist so entscheidend für das langfristige Wachstumspotenzial wie die Zahl der Beschäftigten. Aber auch kulturell, wissenschaftlich oder wirtschaftlich sind sie eine große Bereicherung.

Der aus Russland stammende Pianist Igor Levit begeistert nicht nur das Konzertpublikum, sondern hat auch in der Coronakrise regelmäßig die Stimme erhoben. Ohne die türkischstämmigen Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin stünde Deutschland in der Immunologie und Krebsforschung nicht dort, wo es heute ist. Und dass rund jeder neunte Abgeordnete des neu gewählten Bundestags einen Migrationshintergrund hat, zeigt die Vielfältigkeit auch der politischen Landschaft.

Das war nicht selbstverständlich. Denn auf dem tastenden Weg zur Einwanderungsgesellschaft sind Fehler passiert. Max Frischs berühmter Satz „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ steht für das Versäumnis, bei der Migration die Integration von Anfang an mitzudenken.

Die Folgen vernachlässigter Integrationspolitik sind bis heute zu beobachten

Die Folgen beschäftigen uns bis heute: Beim Bildungserfolg, auf dem Arbeitsmarkt, bei der gesellschaftlichen und politischen Partizipation – oft sind Bürger mit Einwanderungsgeschichte hier im Hintertreffen. Und ein ausländisch klingender Name ist leider viel zu häufig noch der alleinige Grund, gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch oder zur Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden.

Die Ankunft der Flüchtlinge – erst der „Boatpeople“ aus Vietnam, später der Menschen aus dem zerfallenden Jugoslawien, zuletzt der Kriegs- und Armutsopfer aus Syrien, Afghanistan oder Afrika – verschärfte die ohnehin verbreitete ideologische Aufladung der Migrationsdebatte. Die linke Erzählung von einer friedvollen „Multikulti“-Gesellschaft zeichnet ebenso wenig das ganze Bild wie die konservative Warnung vor „Überfremdung“ oder der Einwanderung in die Sozialsysteme.

Doch diese Frontstellung hat allzu lange die nötige Debatte über gesteuerte Zuwanderung aus Staaten jenseits der Europäischen Union behindert. Insofern ist es durchaus ein historischer Erfolg, dass seit eineinhalb Jahren das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft ist.

Doch hat es leider nur zu einem Minimalkompromiss zwischen Union und SPD gereicht, der Deutschland allenfalls zu einem Einwanderungsland light macht. Die Hürden für Interessenten aus dem Ausland liegen weiter hoch, eine echte Willkommenskultur will sich nicht einstellen.

Ohne Migration werden sich Wohlstand und Stabilität der Sozialsysteme nicht sichern lassen

Dabei sind die Herausforderungen heute nicht kleiner als in den 1960er-Jahren. Weil die Alterung der Gesellschaft das Arbeitskräftepotenzial rapide schrumpfen lässt, werden sich ohne Migration der Wohlstand und die Stabilität der Sozialsysteme nicht sichern lassen.

Gerade erst hat das Statistische Bundesamt darauf hingewiesen, dass jährlich unter dem Strich 480.000 Menschen einwandern müssten, wenn die bis 2035 erwartete Abnahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kompensiert werden soll.

Dem Irrglauben der Regierung in London, ohne Einwanderer auskommen zu können, sollte hierzulande lieber niemand aufsitzen. Die Folgen einer solchen Politik erleben die Briten gerade an den Tankstellen.

Doch stehen Einwanderungswillige keinesfalls Schlange, um in die Bundesrepublik zu kommen. Viele europäische Länder kämpfen längst mit ähnlichen demografischen Problemen wie Deutschland. Allein auf die EU-Freizügigkeit zu vertrauen wird also nicht reichen.

International aber konkurriert Deutschland bei der Suche nach Fachkräften mit anderen Wirtschaftsmächten wie den USA oder China. Dass sich die Bundesagentur für Arbeit inzwischen selbst im 12.000 Kilometer entfernten Indonesien um Pflegekräfte bemüht, zeigt die Dringlichkeit.

Verwandte Themen Deutschland Türkei FDP SPD Arbeitsmarkt Koalition

Sechzig Jahre nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei sollte die künftige Regierung Migranten aus dem Ausland daher endlich den roten Teppich ausrollen. Grüne und FDP haben in der letzten Wahlperiode mit eigenen Gesetzesvorschlägen bewiesen, dass sie kreative Ideen und vernünftige Ansätze haben.

Die nächste Koalition muss in der Einwanderungspolitik mehr Mut beweisen, als Union und SPD das gemeinsam getan haben. Ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen auch verdient, sollte oben auf der Prioritätenliste stehen. Hier könnten FDP und Grüne leicht Schnittmengen finden – und dem Land einen ersten großen Dienst erweisen.

Mehr: Gastkommentar Düzen Tekkal und Johannes Vogel: Wir brauchen mehr gezielte Einwanderung.

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