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KommentarDie 70:30-Formel des Friedrich Merz

Der neue Kanzler dürfte in der Außenwirtschaftspolitik bald ein ganz starkes Signal für ausländische Investoren setzen. Vorbild ist dabei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.Thomas Sigmund 06.05.2025 - 04:04 Uhr
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Friedrich Merz: Der designierte Bundeskanzler hat für seine Politik klare Prioritäten formuliert. Foto: Jonas Holthaus für Handelsblatt

Friedrich Merz hat bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags einen klaren Reformkurs „ab Tag eins“ angekündigt. Damit dieser Anspruch Wirklichkeit wird, beginnt seine Kanzlerschaft mit einer ungewöhnlich deutlichen Prioritätensetzung. 70 Prozent seiner Regierungszeit will Merz auf Außen- und insbesondere auf Außenwirtschaftspolitik verwenden, lediglich 30 Prozent der Innenpolitik widmen – so ist es zumindest aus seinem Umfeld zu hören.

Was auf den ersten Blick technokratisch klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als politisches Programm – und als ambitionierter Neustart für ein Land, das sich in den vergangenen Jahren allzu oft im politischen Klein-Klein erschöpft hat.

Im Gegensatz zu seinen CDU-Vorgängern Helmut Kohl und Angela Merkel, die ihre außenpolitische Rolle erst spät in ihren Amtszeiten entdeckten und der Innenpolitik den Rücken zuwandten, kehrt Merz die Perspektive bewusst um – er setzt von Anfang an außenpolitische Akzente.

Geplant ist, dass er nach seiner Vereidigung die beiden Partner des Weimarer Dreiecks, Frankreich und Polen, besucht. Das Außenministerium hat er mit einem CDU-Vertrauten besetzt, den Nationalen Sicherheitsrat ins Kanzleramt geholt, und selbst der Regierungssprecher bringt außenpolitische Erfahrung mit. Auch die Zollpolitik soll offenbar künftig direkt aus dem Kanzleramt gesteuert werden.

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Obwohl laut einer exklusiven Civey-Umfrage für das Handelsblatt viele Deutsche der Außenwirtschaftspolitik keinen allzu hohen Stellenwert beimessen, ist der Kurs von Merz wohlüberlegt. Er reagiert damit auf eine sich wandelnde Weltlage: auf geopolitische Spannungen, tektonische Verschiebungen in Handelsbeziehungen, den Umbau globaler Lieferketten. Deutschland muss außenpolitisch sichtbarer werden – nicht nur diplomatisch, sondern auch wirtschaftlich. Die internationale Bühne verlangt heute mehr denn je ökonomische Handlungsfähigkeit.

Gedankenspiele über eine Investorenkonferenz

Ein möglicher Baustein dieses neuen Ansatzes könnte eine internationale Investorenkonferenz nach französischem Vorbild sein. Präsident Emmanuel Macron lud im vergangenen Jahr unter dem Motto „Wähle Frankreich“ ausländische Investoren ins Schloss Versailles – mit großem Erfolg. Die Ampelregierung blickte damals neidisch nach Paris, wo der ehemalige Investmentbanker Macron den Unternehmen den roten Teppich ausrollte und Milliarden an Investitionen einsammelte.

Merz dürfte Ähnliches im Sinn haben – und das möglichst früh. Ein starkes Signal in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit wäre ganz im Sinne dieses Ansatzes. Das Timing passt: Mit dem beschlossenen Billionenpaket für Infrastruktur und Verteidigung hat der Staat bereits einen wichtigen Schritt getan. International wurde dieser Kurswechsel mit Respekt registriert.

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Jetzt gilt es, daraus einen Hebel für private Investitionen zu machen. Merz macht die internationale Wirtschaftspolitik zur Chefsache – eine Rolle, die klassischerweise dem Wirtschaftsminister zukam. Doch Merz will hier offenbar nichts dem Zufall überlassen.

Gleichzeitig birgt das 70:30-Modell auch Risiken. Viele Kanzler vor ihm haben Geschmack an der großen Bühne der Weltpolitik gefunden – und dabei die innenpolitische Kleinarbeit vernachlässigt. Der Mechanismus ist bekannt: Wer über Krieg und Frieden oder globale Krisen verhandelt, für den wirkt eine Rentenreform plötzlich nebensächlich.

Doch gerade die Wirtschaft im Inland erwartet konkrete Verbesserungen – Bürokratieabbau, Digitalisierung der Verwaltung, verlässliche Energiepreise und eine moderne Steuerpolitik.

Chancen für Vizekanzler Klingbeil

Merz’ außenpolitischer Fokus eröffnet aber auch Chancen für seinen Vizekanzler Lars Klingbeil. Er könnte zum Motor der innenpolitischen Reformen werden. Um seine eigenen Kanzlerambitionen glaubwürdig zu unterfüttern, wird es jedoch nicht reichen, einen Mindestlohn von 15 Euro durchzusetzen oder eine langfristig kaum finanzierbare Rentengarantie auszusprechen.

Dabei verfügt das neue Kabinett über so viel wirtschaftliche Praxiserfahrung wie kaum eines zuvor. Zwar sind Karsten Wildberger (Digitales) und Verena Hubertz (Bauen) politisch noch weitgehend unbeschriebene Blätter, doch genau darin könnte ihre Stärke liegen: eine Politik jenseits eingefahrener Parteiroutinen. Die designierte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche wiederum kennt sowohl die politische als auch die unternehmerische Welt – ein Vorteil in der aktuellen Lage, der zum entscheidenden Faktor werden kann.

Verwandte Themen Innenpolitik Friedrich Merz Emmanuel Macron Frankreich CDU Wirtschaftspolitik

Wenn Merz seine 70:30-Formel ernst meint, muss er sicherstellen, dass das Kabinett als Team funktioniert. Die Erfahrung zeigt: Ist der Kanzler auf außenpolitischer Mission, drohen im Inneren Machtspiele. Der neue Kanzleramtsminister Thorsten Frei wird deshalb eine Schlüsselrolle einnehmen. Ihm kommt nicht nur die klassische Funktion des ehrlichen Maklers zu – er muss voraussichtlich auch operativ führen, um den Laden zusammenzuhalten.

Natürlich nehmen sich Kanzler und Koalitionen traditionell viel vor, schreiben viele seitenlange Koalitionsverträge. Doch politische Realität ist flüchtig – schon morgen kann alles überholt sein. Dass Friedrich Merz jedoch überhaupt mit einem realistischen Plan startet, macht Mut. Es ist ein Anfang – und darauf kommt es an.

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