Kommentar: Die Ampel darf nicht mit einer Mogelpackung starten

Schulden sollten nicht in Schattenhaushalten versteckt werden.
Fortschrittsregierung, ökoliberale Reformregierung, fortschrittliches Zentrum. An Metaphorik zur Überhöhung einer Ampelkoalition mangelt es nicht. Der Überbau der neuen Regierung, das Hausdach sozusagen, ist fertig. Nur das Fundament, auf dem alles andere beruht, steht noch nicht einmal im Ansatz: eine gemeinsame Haushaltspolitik.
Anders als ihre Vorgängerregierungen finden SPD, Grüne und FDP leere Kassen und Rekordschulden vor. Gleichzeitig sind die Wunschlisten der Parteien lang. Was im Falle einer Ampel besonders blöd ist. Denn dieses Mal müssen die Wünsche gleich dreier Parteien bedient werden, die bislang nicht miteinander konnten. Geld wäre da ein guter Kitt.
Geld ist aber nicht da, deshalb soll es herbeigeschafft werden, und zwar über Schulden an der Schuldenbremse vorbei, weil die mangels Mehrheiten nicht geändert werden kann. Und so werden auf den Markt der Ideen allerlei Vorschläge geworfen, wie die Verfassungsregel elegant umschifft werden kann. Die Verzweiflung ist so groß, dass selbst Ökonomen wie Clemens Fuest sich beteiligen.
Als besonders hip und mehrheitsfähig gelten staatliche Investitionsfonds. Vorbei an der Schuldenbremse könnten sie Schulden aufnehmen, um damit Investitionen zu finanzieren. Das klingt smart, und ihre Schöpfer aus der Wirtschaftswissenschaft hatten beste Absichten, als sie diese Fonds erfanden. Aber politisch sind sie eine gefährliche Mogelpackung.
Schon in den vergangenen Jahren wurde der Bundesetat immer intransparenter, weil ständig neue Investitionsfonds für Kitas, Kommunen oder Digitales geschaffen wurden. Doch immerhin: Bislang sind diese Fonds im Bundeshaushalt verortet.
Rote Linien würden überschritten
Mit der Schaffung von Schattenhaushalten würde eine Regierung diese rote Linie überschreiten.
Die Schulden des Staates, entscheidend für die Steuerlast der Zukunft, wären für die Wähler völlig undurchsichtig. Aber auch die Ampel selbst liefe Gefahr, sich auf demokratische Abwege zu verlieren und ein schlechtes Vorbild für andere Länder abzugeben.
Denn was gern übersehen wird: Über der nationalen Schuldenbremse trohnen noch die europäischen Schuldenregeln. Danach fallen Schulden nur dann nicht unter nationale Regeln wie die Schuldenbremse, wenn der Staat zu weniger als 50 Prozent an Sondervermögen beteiligt ist.
Wenn aber Private in Investitionsfonds das Sagen haben, stellt sich die Frage, wie das Geld aus diesen Fonds herausgereicht werden soll.
Zugleich bestünde die Gefahr, dass Investitionen in externe Fonds ausgelagert werden, um im normalen Haushalt Platz für höhere Sozialausgaben zu schaffen. Die Ausgabenwünsche sind jedenfalls immer größer als die Investitionswünsche, wie die Bilanz der Großen Koalition zeigt.
Königsrecht des Parlaments würde ausgehebelt
Die Gesundheits- und Pflegereformen waren so teuer, dass sich der Steuerzuschuss für die Krankenversicherung binnen zwei Jahren gerade zu verdoppeln droht und zugleich der Bund in die dauerhafte Steuer-Alimentierung der Pflegeversicherung einsteigt. Ein Systembruch, der viel zu wenig Beachtung findet.
Würden Investitionsfonds geschaffen, käme noch die Gefahr hinzu, das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, auszuhebeln. Parlamente könnten nicht mehr vollständig über den Bundeshaushalt wachen, im schlimmsten Fall hätten sogar Technokraten das Sagen. Schon heute lässt sich das in mancher Kommune besichtigen. Dort regieren nicht die Bürgermeister die Stadtwerke, sondern die Stadtwerke den Bürgermeister.
Selbst wenn mittels juristischer Schlupflöcher all diese Probleme irgendwie umschifft werden könnten, wäre immer noch das Signal fatal. Ausgerechnet Europas finanzpolitischer Musterknabe würde anderen Euro-Ländern einen Freifahrtschein fürs Schuldenmachen ausstellen.
Denn wenn Deutschland sich schon herausnimmt, die eigenen Schuldenregeln auszutricksen, kann dies ganz sicher keinem anderen Land verwehrt werden. Wer so vorausprescht, kann sich die Diskussion über eine Reform des Stabilitätspaktes auch gleich schenken.
Statt Tricksereien ist Transparenz gefragt
Statt Tricksereien braucht es in der Haushaltspolitik Transparenz. Das ist weder puristisch oder dogmatisch, sondern demokratietheoretisch gedacht. Wer mehr Schulden machen will, muss die Schuldenbremse reformieren. Dafür ist weniger Kleinkrämerei und mehr Ambition gefragt.




Olaf Scholz redet doch immer davon, die Politik müsse in Missionen denken. Als Kanzler könnte er sich auf Mission Schuldenbremse begeben. Für deren Einführung wurde schließlich auch einmal eine Zweidrittelmehrheit erkämpft.
Investitionsfonds dagegen taugen nicht als Aufbruchssignal einer Regierung. Im Gegenteil: Gründet eine Ampel ihre Politik auf dem Ausnutzen eines Haushaltsschlupflochs, startet sie selbst als Mogelpackung.
Mehr: So steht es um den Bundeshaushalt wirklich – und so viel Geld kann die nächste Koalition verteilen





