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Blick auf das Frankfurter Bankenviertel

Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Deregulierung zu weit ging – doch die Coronakrise taugt nicht zur Kritik am Neoliberalismus.

(Foto: imago images/Christian Offenberg)

Kommentar Die Coronakrise taugt nicht zur Verteufelung des Neoliberalismus

Corona ist der falsche Anlass, das Ende des Neoliberalismus auszurufen. Vielmehr bauen Kritiker damit einen Popanz zur Durchsetzung eigener Interessen auf.
05.07.2021 - 18:30 Uhr 1 Kommentar

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Neoliberalismus. Alle Mächte haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet: Politiker, Ökonomen, Philosophen. Egal, welches Problem es auch gibt, Schuld hat immer – der Neoliberalismus. Corona beweise das einmal mehr.

Für den Intellektuellen Noam Chomsky deckt das Virus ein „kolossales Versagen der neoliberalen Version des Kapitalismus“ auf. Für DIW-Chef Marcel Fratzscher ist die Pandemie der „finale Todesstoß, der Sargnagel für den Neoliberalismus“.

Und selbst laut Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums und für Kapitalismuskritiker menschgewordener Repräsentant der hässlichen Fratze des Kapitalismus, hat der Neoliberalismus in dieser Form nach Corona „ausgedient“. Selbstredend nimmt das linke Lager hierzulande den Ball im Wahlkampf dankend auf.

Eine seltsame Allianz hat sich da am Kaminfeuer der zeitgeistigen Kapitalismuskritik versammelt und ruft – frei nach Francis Fukuyama – das Ende der Geschichte aus. Nur irrte Fukuyama bekanntermaßen.

Vor allem aber ist Corona der denkbar falsche Anlass, das Ende einer ökonomischen Denkschule auszurufen. Vielmehr bauen diese Kritiker einen Popanz zur Durchsetzung eigener politischer Interessen auf. Denn wer dem Ende des Neoliberalismus wegen Corona das Wort redet, bauscht ideologisch etwas auf, wo es nichts aufzubauschen gibt – und schwächt damit seine in Teilen ja berechtigte Kritik an Auswüchsen des Kapitalismus.

Sündenbock Neoliberalismus. Quelle: Burkhard Mohr
Karrikatur

Sündenbock Neoliberalismus.

(Foto: Burkhard Mohr)

So war es nach der Finanzkrise überfällig, die bis dahin vorherrschende Politik der Deregulierung zu hinterfragen. Genauso wurde zu lange ignoriert, dass die Globalisierung zwar zu mehr Wohlstand führt, aber auch Millionen Verlierer produziert.

Eine Pandemie aber ist eine andere Sorte Krise. Corona ist rein durch Fremdeinfluss entstanden. Der Neoliberalismus hat das Virus jedenfalls nicht in die Welt gepflanzt.

Dass Pharmakonzerne und Regierungen auf die Pandemie nicht vorbereitet waren, hat mit dem Wirtschaftsmodell von Staaten nichts zu tun. Das Virus hat nicht vor Grenzen und auch nicht vor Systemen haltgemacht.

Auch auch wenn man die Entstehungsgeschichte außer Acht lässt und das staatliche Krisenmanagement bewertet, taugt Corona nicht als Beleg für das Ende des Neoliberalismus.

Versündigung an der Marktwirtschaft

Die anfangs in der Pandemie aufgestellte These, die Länder, die den Neoliberalismus am stärksten vorangetrieben haben – allen voran die USA und Großbritannien –, seien von Corona am härtesten getroffen, zerbröselt immer mehr.

Auch hierzulande hat die Pandemie nicht gezeigt, dass der Staat vieles besser kann als der Markt. Die Probleme in Schulen, Gesundheitsämtern oder beim Start der Impfkampagne sind hinreichend bekannt.

Die „Bazooka“ wiederum, mit der auf die Wirtschaftskrise finanziell reagiert wurde, ist zwar keynesianisch. Sie deckt sich aber auch mit den Vorstellungen der Väter der deutschen Ordnungspolitik.

Neo- oder Ordoliberale wie Walter Eucken würden die fundamentale Versicherungsfunktion des Staates in einer Extremsituation wie Corona niemals bestreiten. Darin liegt eine Ironie: Wenn die Kapitalismuskritiker den Neoliberalismus verteufeln, diffamieren sie immer auch die Väter der Sozialen Marktwirtschaft.

Die Debatte um Lieferketten zur Just-in-time-Produktion oder darüber, ob man ganze Branchen wie die Pharmaindustrie aus strategischen Gründen in die Heimat zurückholen sollte, ist auch nicht stichhaltig. Diese Debatten gab es aufgrund geopolitischer Spannungen schon vor Corona.

Ein typischer Übergang zwischen Denkschulen

Was die Welt derzeit erlebt, ist ein typischer Übergang zwischen zwei Denkschulen, wie er sich alle paar Jahrzehnte einmal vollzieht. In den 1970er-Jahren war der Keynesianismus obenauf, dann, in den 1980er-Jahren, waren es die „Chicago Boys“ und die Neoliberalen. In den 2020er-Jahren scheinen nun die Keynesianer wieder Oberwasser zu gewinnen.

Der Soziologe Andreas Reckwitz zeigt diese stetigen Brüche zwischen „Liberalisierungs- und Regulierungs-Paradigma“ in seinen Büchern schön auf. Ein Paradigma resultiert demnach immer aus den Übertreibungen seines Vorläufers und korrigiert diese dann. Man könnte auch sagen: Liberalisierungs- und Regulierungs-Paradigma bedingen einander.

Hier liegt eine weitere Ironie: Kapitalismuskritiker werfen Neoliberalen vor, dem Mantra „Privat vor Staat“ jahrelang blind gefolgt zu sein. Markt und Staat dürften aber nicht gegeneinander ausgespielt werden. Genau das tun sie jetzt aber selbst, indem sie den Neoliberalismus aus falschem Anlass beerdigen.

Vor solch einer „Dämonisierung“ warnt auch der Politologe Thomas Biebricher in seinem Buch „Politische Theorie des Neoliberalismus“, in dem er sich kritisch mit der Denkrichtung auseinandersetzt. Wenn Kritiker immer nur sagten, Neoliberalismus sei Marktradikalismus, dann mache man es den Neoliberalen zu leicht.

Mehr: Paul Krugmans „Kampf gegen die Zombies

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1 Kommentar zu "Kommentar: Die Coronakrise taugt nicht zur Verteufelung des Neoliberalismus"

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  • Der Neoliberalismus ist doch an den desaströsen Auswirkungen der Corona-Pandemie schuld. Und zwar eindeutig und unzweifelhaft. Es wurde staatliche Grundlagen-Forschung nur halbherzig finanziell gefördert. Man hat es Privat überlassen an Viren zu forschen. Das war total falsch und die Verantwortlichen gehören zur Rechenschaft gezogen, nur sind sie leider nicht zu fassen, die Schwarze-Null-Schwätzer. In der Viehzucht weiß man schon lange, welche Gefahren von Viren und Bakterien ausgehen. Die beiden Komplexe, Viren und Bakterien, gehören mit Hochdruck beforscht. Man muss endlich die Angriffspunkte entdecken, Bakterien und Viren unschädlich machen zu können. Es ist aber davon auszugehen, dass es wieder nicht passiert, da Schwätzer klare Diskussionen scheinheilig überdecken, die zu klaren Entscheidungen führen, einige Milliarden in die notwendige Forschung zu investieren. Dabei könnte man mit den Ergebnissen im Pharmamarkt hohe Gewinne erzielen. Es muss die Grundlagenforschung nun endlich angegangen werden, mit ausreichenden Summen. Der gegenwärtige Schaden ist enorm, da man an Forschung gespart hat und sich naiv auf den Markt verlassen hat. Der Kartoffelmarkt ist neoliberal gestaltet ganz okay, aber nicht okay ist, Existenzbedrohendes dem Markt zur Regelung zu überlassen.

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