Kommentar Die Einigung beim Mindestlohn ist ein guter Kompromiss

Der Kompromiss beim Mindestlohn ist nicht so schlecht, wie Kritiker behaupten.
Berlin
Das passt auf den ersten Blick nicht zusammen: Mitten in der schwersten Rezession, welche die Bundesrepublik bisher erlebt hat, soll der Mindestlohn kräftig steigen – von derzeit 9,35 Euro auf 10,45 Euro.
So hat es die zuständige Kommission aus Arbeitgebern, Gewerkschaftern und Wissenschaftlern entschieden. Ein Plus von fast zwölf Prozent, und das mitten in einer schweren Wirtschaftskrise?
Tatsächlich aber ist diese Einigung auf den zweiten Blick ein durchaus vernünftiger Kompromiss. Denn die Anhebung des Mindestlohns wurde in vier Schritte aufgeteilt, und der erste fällt Anfang 2021 sehr moderat aus. Um gerade mal 15 Cent soll dann die Lohnuntergrenze angehoben werden. Für die Gewerkschaften war eine solche Mini-Erhöhung nicht so einfach zu akzeptieren. Sie ist aber richtig angesichts der Unsicherheiten in der Coronakrise. Die Arbeitslosigkeit ist von Mai auf Juni um 40.000 auf 2,853 Millionen Erwerbslose gestiegen. Viele Unternehmen kämpfen um die Existenz. Deshalb ist derzeit Zurückhaltung bei Tarifrunden genauso geboten wie beim Mindestlohn.
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Sollte aber in der zweiten Jahreshälfte die konjunkturelle Erholung einsetzen, so, wie es Wirtschaftsforscher erwarten, dann spricht nichts dagegen, Arbeitnehmern den jetzigen Verzicht mit einem späteren Zuschlag zu danken. Das stärkt auch den Binnenkonsum, der angesichts der weltwirtschaftlichen Unsicherheiten wichtiger wird.
Und niemand sollte die gesellschaftlichen und politischen Risiken unterschätzen, wenn gerade den Menschen in Niedriglohnbereichen immer weiter das Gefühl vermittelt wird, dass sie stets verzichten müssen: ob vor, in oder nach einer Krise. Insofern geht der Kompromiss zum Mindestlohn in Ordnung.
Weshalb Gewerkschafter nicht jubeln
Allerdings ist diese Einigung auch nicht die Lösung aller Arbeitsmarktprobleme, wie nun manche meinen. Natürlich ist Applaus für Krankenpflegerinnen nicht genug, sie brauchen auch eine vernünftige Bezahlung. Ja, die Coronakrise hat noch mal verdeutlicht, was schon vorher klar war: In vielen Berufen sind die Verdienstmöglichkeiten zu gering. Da muss sich niemand über einen Mangel an Pflegern oder Erzieherinnen wundern. Um hier ausreichend Personal zu finden, wird man um eine bessere Bezahlung nicht herumkommen.
Dies ist eine Aufgabe für die Tarifpartner und nicht für die Mindestlohnkommission. Gerade die Bereiche, in denen heute nach Fachkräften gesucht wird, sind von der Lohnuntergrenze nicht berührt. Und das ist auch gut so. Deutschland ist mit der Tarifautonomie gut gefahren. Das ist auch ein Grund, warum Gewerkschafter hinter vorgehaltener Hand einen allzu hohen Mindestlohn nicht uneingeschränkt bejubeln. Je stärker er steigt, desto überflüssiger werden Tarifverträge. Und damit in den Augen vieler Beschäftigter auch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.
Arbeitgeber und Gewerkschaften haben in der Tarifpolitik meist verantwortungsbewusst agiert. Das sollten sie auch in der Mindestlohnkommission weiterhin tun.
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