Kommentar: Die Enthüllung der Xinjiang-Papiere deutet erste Risse in Chinas Einheitsfassade an

Chinas Präsident Xi hat sich hinter Hongkongs Regierungschefin Lam gestellt.
Viele Demonstranten in Hongkong haben Angst vor einem bestimmten Szenario. Sie fürchten, dass sie eines Tages für ihren Widerstand gegen den wachsenden Einfluss Pekings das gleiche Schicksal erleiden müssen wie jetzt bereits viele Uiguren in der autonomen Region Xinjiang in Nordwestchina. Dort sitzen bis zu einer Million Menschen in Masseninhaftierungslagern, weil Peking glaubt, so Extremismus und Separatismus am besten bekämpfen zu können.
Die von der „New York Times“ veröffentlichten Xinjiang-Papiere speisen diese Angst. In ihnen weist Chinas Staats- und Parteichef seine Kader an, „ohne Gnade“ in Xinjiang vorzugehen. Und tatsächlich ist es möglich, dass auch Hongkong ähnlich mit den mehr als 4000 bei den Demonstrationen Festgenommenen umgehen wird. Auch diese werden ja von der chinesischen Regierung des Separatismus und der „terrorismusnahen Handlungen“ bezichtigt.
Ob es aber wirklich so kommen wird, ist noch nicht entschieden. Denn es regt sich immer größerer Widerstand gegen Pekings menschenverachtende Methoden. Erst im Oktober sanktionierten die USA acht chinesische Firmen und schränkten die Einreise von mehreren chinesischen Kadern ins Land ein, weil sie maßgeblich an der Unterdrückung der Uiguren beteiligt sind.
In den Enthüllungen der Xinjiang-Papiere der „New York Times“ werden nun auch die Risse innerhalb Pekings deutlich. Im Jahr 2017 wurde gegen mehr als 12.000 Parteimitglieder intern ermittelt, weil sie im „Kampf gegen den Separatismus“ Fehler begangen hatten. Das war 20-mal häufiger als in den Jahren zuvor.
Hinter diesen Statistiken verbirgt sich die Tatsache, dass viele Beamte die derzeitige Vorgehensweise in Xinjiang kritisch sehen. Viele hängen einer Doktrin an, die bis 2014 praktiziert wurde: wirtschaftliche Entwicklung und soziale Integration sind langfristig der beste Weg, um ethnische Spannungen zu lösen. Selbst heute raunen chinesische Kader hinter vorgehaltener Hand, dass die Masseninhaftierungslager nur das Feuer der ethnischen Ressentiments weiter schüren.
Auch die Enthüllungen selbst sind ein Riss in der Einheitsfassade der Kommunistischen Partei Chinas. Denn normalerweise dringt das, was hinter den Türen der Macht in Peking diskutiert wird, so gut wie nie nach draußen. Die Unzufriedenheit im Gefolge des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping muss groß sein, wenn jemand aus dem Zentrum der Macht ein derartiges Wagnis eingeht, um geheime Dokumente an ausländische Journalisten weiterzureichen.
Dieser Schritt selbst zeigt, dass die Debatte innerhalb Chinas, wie man mit Dissens, unzufriedenen Regionen und Sonderwirtschaftszonen und den dortigen Einwohnern umgehen soll, noch längst nicht ausgefochten ist.
Mehr: Menschenrechtsorganisationen fürchten, dass Chinas Regierung eine Million Uiguren in Internierungslager gesperrt hat. Eine 400-seitige Enthüllung gibt Einblicke in die Vorgehensweise Pekings.





