Kommentar Die EU sollte die Brexit-Kosten nicht noch höher treiben

Die Nichtanerkennung des britischen Finanzplatzes würde den Clearing-Markt zersplittern.
London Einen öffentlichen Wutausbruch leistet sich der Gouverneur der Bank of England eher selten. Vor einigen Tagen jedoch wurde Andrew Bailey bei einer Anhörung in London ungewohnt deutlich. Die Europäer spielten „Standortpolitik“ und riskierten eine „ernsthafte Eskalation“ beim Euro-Clearing, schimpfte der Notenbankchef.
Aufseher und Politiker in der EU machen schon seit Längerem kein Geheimnis daraus, dass die Abwicklung von Derivategeschäften in Euro idealerweise in der Euro-Zone stattfinden sollte. Die EZB hatte vor Jahren bereits vergeblich versucht, den Umzug des Clearings aus London zu erzwingen.
Seit dem Brexit an Neujahr verstärkt sich der Eindruck, dass die EU nun Ernst macht. Die Erlaubnis für die Londoner Clearinghäuser wurde vorerst nur bis Mitte 2022 verlängert. Eine Arbeitsgruppe prüft, wie eine Verlagerung in die Euro-Zone technisch vonstatten gehen könne, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Banken werden aufgefordert, ihre Geschäfte verstärkt über Clearinghäuser in Frankfurt und Paris abzuwickeln.
Großes Misstrauen
Baileys Wutrede ist ein Indiz dafür, wie akut die Gefahr in London gesehen wird – und wie groß das Misstrauen zwischen den Partnern inzwischen ist. Dabei ist keineswegs klar, dass der Umzug des Clearings die beste Lösung ist. Im Prinzip leuchten die Argumente der Europäer zwar ein: In Krisenzeiten brauche man direkten Zugriff auf den billionenschweren Markt. Und im Übrigen habe London kein dauerhaftes Monopol auf das lukrative Geschäft.
Auf der anderen Seite gilt aber der alte Grundsatz: If it ain’t broke, don’t fix it. Warum sollte man ein System ändern, wenn es gut funktioniert? Aus Sicht der Marktteilnehmer wäre es effizienter, das Clearing in London zu lassen. Alles andere bringt nur zusätzliche Kosten.
Eine Verweigerung der Äquivalenz für London würde bedeuten, dass sich der Markt auf Frankfurt und Paris zersplittert. Ein Teil des Geschäfts würde auch an Standorte wie New York abwandern, die von der EU als gleichwertig anerkannt werden. Das wäre kaum die Brexit-Dividende, die Brüssel im Sinn hat.
Die EU-Kommission müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, den sie in den vergangenen Jahren immer der britischen Regierung gemacht hatte: dass sie politische über wirtschaftliche Interessen stellt. Die Nichtanerkennung des Finanzplatzes London würde dazu führen, dass die volkswirtschaftlichen Brexit-Kosten insgesamt noch höher ausfallen. Und dieses Mal wären die Europäer schuld.
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