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Kommentar Die fetten Jahre der IG Metall sind vorbei

Die Gewerkschaft will den Strukturwandel gestalten. Doch jetzt kommt ihr der konjunkturelle Abschwung in die Quere. Die Ausgangslage war schon mal besser.
07.10.2019 - 18:07 Uhr Kommentieren
Auf dem Gewerkschaftstag dominierten Themen wie Beschäftigungssicherung und Sanierungstarifverträge. Quelle: dpa
Gewerkschaft IG Metall

Auf dem Gewerkschaftstag dominierten Themen wie Beschäftigungssicherung und Sanierungstarifverträge.

(Foto: dpa)

Es ist noch nicht lange her, da konnte die IG Metall vor Kraft kaum laufen. Im Februar vergangenen Jahres hatte die Gewerkschaft in der Schlüsselindustrie Metall und Elektro ein kräftiges Reallohnplus und eine Wahloption zwischen Geld und Freizeit erstritten. Sie nahm für sich in Anspruch, die Lebenswirklichkeit der Beschäftigten, denen die Familie mindestens genauso wichtig ist wie die Arbeit, mit fortschrittlicher Tarifpolitik abzubilden.

So, dachte man lange, kann es auch in der kommenden Tarifrunde im nächsten Frühjahr weitergehen. Der zehnjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft lud dazu ein, aus dem Vollen zu schöpfen. Doch die fetten Jahre sind vorbei. Die irrlichternden Staatsmänner Donald Trump in Washington und Boris Johnson in London haben die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel gerissen, der die Exportnation Deutschland besonders trifft.

Die Industrie steckt bereits in der Rezession, den Maschinenbauern brechen die Aufträge weg, Produktionsprognosen werden nach unten korrigiert. Die Golfregion balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Krieg und Frieden, ein militärischer Konflikt würde die ohnehin teuren Energiepreise in neue Höhen katapultieren.

Zum konjunkturellen Abschwung, von dem bisher niemand weiß, ob er nur eine Delle oder ein tiefes Tal sein wird, kommt der Strukturwandel hinzu. Wie keine zweite Branche wird die Metall- und Elektroindustrie von der Digitalisierung und der Mobilitäts- und Energiewende gleichzeitig getroffen.

Die Diskreditierung des Diesels, das absehbare Ende des Verbrennungsmotors, die Maschine, die Produktionsmaterial und Ersatzteile selbst ordert – in der Branche mit ihren rund vier Millionen Beschäftigten stehen Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Beschäftigungssicherung im Vordergrund

Auf dem Gewerkschaftstag in Nürnberg, der alle vier Jahre den Kurs vorgibt, taucht die kraftstrotzende IG Metall zwar noch in den Reden der Vorstandsmitglieder auf. Doch hinter den Kulissen ist mehr über Beschäftigungssicherung und Sanierungstarifverträge die Rede als über kräftige Lohnsteigerungen oder eine Ausdehnung des Wahlmodells zwischen Geld und Freizeit auf mehr Beschäftigte.

In einem Punkt hat die IG Metall ihr starkes Selbstbewusstsein aber auch in die sich abzeichnende Krise hinübergerettet: Sie ist überzeugt, dass der Wandel nicht wie eine dunkle Macht über die Beschäftigten kommen muss, sondern dass er sich aktiv gestalten lässt.

Der Erste Vorsitzende Jörg Hofmann nimmt zu Recht einige Erfolge für sich und seine Mitstreiter in Anspruch: Der Druck der IG Metall hat mit dafür gesorgt, dass Themen wie der flächendeckende Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos, eine eigene Batteriezellfertigung oder eine stärker mit Qualifizierung verknüpfte Kurzarbeit es auf die politische Agenda geschafft haben. Und es ist das Verdienst der Gewerkschaft, mit ihrem „Transformationsatlas“ einen Überblick über den Handlungsbedarf in den Betrieben geliefert zu haben.

Nach der Bestandsaufnahme geht es nun darum, den Wandel gemeinsam mit den Arbeitgebern und der Politik aktiv zu gestalten. Parolen der Rechtspopulisten wie „Rettet den Diesel“ oder Straßenblockaden der radikalen Klimaretter von „Extinction Rebellion“ können nicht die Lösung sein. Der Schutz der Lebensgrundlagen und Arbeitsplätze dürfen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern müssen zusammen betrachtet werden.

Die Tarifparteien haben mithilfe der Politik in der Finanzkrise bewiesen, dass sie zu kreativen und beschäftigungssichernden Lösungen fähig sind. Das muss auch jetzt die Marschrichtung sein. Großbritannien hat lange Jahre auf die Finanzbranche und Deindustrialisierung gesetzt und leidvolle Erfahrungen damit gemacht. Diesem Vorbild ist Deutschland zum Glück nicht gefolgt.

Schlechte Ausgangslage

Der industrielle Kern ist das Herzstück unseres wirtschaftlichen Erfolgs und des lang anhaltenden Beschäftigungsbooms – ihn zu erhalten ist alle Mühen wert. Gewerkschaften und Arbeitgeber sind besser in der Lage, passgenaue Konzepte für den Wandel zu finden, als der Staat.

Allerdings war die Ausgangslage für konstruktive Gespräche schon mal besser. Der komplizierte und teure letzte Tarifabschluss oder die neuen 24-Stunden-Streiks haben die Stimmung vergiftet und viele Arbeitgeber gegen die Gewerkschaft aufgebracht. Unverhohlen wird sogar mit dem Ende des Flächentarifvertrags gedroht.

Doch die Tarifparteien sollten verbal abrüsten und das Kriegsbeil begraben – neue Zeiten erfordern neue Antworten, die am besten im Konsens gefunden werden. Für die IG Metall bedeutet das, auch ihre Mitglieder auf schwierige Kompromisse einzuschwören. Denn auch mit Kurzarbeit und Qualifizierung wird sich im gewaltigen Wandel, der vor uns liegt, nicht jeder Arbeitsplatz sichern lassen.

Eigentum verpflichte auch dazu, wenn nötig das Gemeinwohl über Renditeerwartungen zu stellen, sagt IG-Metall-Chef Hofmann. Ja. Aber nicht dazu, um jeden Preis Arbeitsplätze zu erhalten, dafür die Zukunft des Unternehmens aufs Spiel zu setzen und am Ende den Wandel zu verschlafen.

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