Kommentar Die frühe Öffnung der türkischen Wirtschaft war unausweichlich

Das Land leidet unter anderem unter dem Fernbleiben der Touristen.
Es klingt nach einer Erfolgsgeschichte: Die türkische Wirtschaft ist im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,7 Prozent gewachsen und damit so stark wie in kaum einem anderen G20-Land. Vor allem der private Konsum trug zum Wachstum bei.
Doch die türkische Regierung ist ein hohes Risiko eingegangen, um die Konjunktur zu schützen: Trotz Corona-Pandemie hat sie in den vergangenen Monaten kaum Einschränkungen verordnet. Mittlerweile steigen die Infektionszahlen drastisch an – etwa 30.000 neue Fälle registriert das Land pro Tag.
Dass Ankara vor Maßnahmen bislang zurückschreckt, hat einen einfachen Grund: Die Türkei ist anderen Einflüssen ausgesetzt als Industrienationen. Anders als in wohlhabenden Ländern lebt in der Türkei ein größerer Anteil der Bevölkerung von einem Arbeitseinkommen.
Vermögende gibt es kaum, das Sozialsystem ist vergleichsweise schwach. Ein Drittel der Arbeitnehmer erhält nur den Mindestlohn. Fehlt dieser, mangelt es auch an Nahrung für die Familie.
Dem Staat fehlen zudem die Reserven, um – wie etwa in Deutschland – Umsatzeinbußen auszugleichen oder über einen langen Zeitraum Kurzarbeit finanziell zu fördern. Zudem mangelt es an Kreditwürdigkeit, um solche Programme am Kapitalmarkt zu finanzieren.
Abhängigkeit von der Nachfrage aus dem Ausland
Hinzu kommt: Wie in anderen Schwellenländern hängt auch in der Türkei ein großer Teil der Konjunktur von der ausländischen Nachfrage ab. Bleiben die Touristen aus, fehlen die Devisen. Werden in reichen Ländern weniger Autos verkauft, leidet die Produktion von Fahrzeugteilen in Ländern wie der Türkei. Und wenn die EU-Spitze alles tut, um die eigene Volkswirtschaft und den Euro zu stabilisieren, dann geraten Schwellenländerwährungen wie die Lira schnell ins Hintertreffen.
Die Administration in Ankara sah sich deshalb im Sommer, als die Infektionszahlen niedrig waren, gezwungen, umgehend die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen. Neben den hohen Fallzahlen hat die türkische Regierung unter Staatschef Recep Tayyip Erdogan dafür viele Opfer gebracht: Die Lira hat ein Viertel an Wert verloren, die Inflation liegt bei knapp zwölf Prozent. Der Finanzminister musste gehen, ebenso wie der Notenbankchef.
Es drängt sich nun die Frage auf, wie nachhaltig die türkische Öffnungspolitik überhaupt gewesen ist. Für ein Schwellenland stellt sich diese Frage nicht. Im Gegenteil: Im dritten Quartal haben viele türkische Firmen neue Märkte erschlossen, quer durch alle Branchen.
Im besten Fall bleiben diese Kunden auch nach der Pandemie erhalten. Die frühe Öffnung der türkischen Wirtschaft ist aber unausweichlich gewesen.
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