Kommentar Die Macht von Facebook steht im krassen Missverhältnis zur politischen Insensibilität seines Gründers

Seit der Unternehmens-Gründung erzählt Zuckerberg immer wieder, dass er Freunde weltweit verbinden will.
Düsseldorf Schon die Entschuldigung des Facebook-Chefs ist bizarr: „Sorry für die Unterbrechung heute“, schrieb Mark Zuckerberg, als das auf seiner größten Internetplattform wieder möglich war. „Ich weiß, wie sehr ihr auf unsere Dienste angewiesen seid, um mit Leuten in Verbindung zu bleiben, die euch wichtig sind.“ Vorausgegangen war dem Post ein stundenlanger Ausfall von Facebook, Instagram und WhatsApp.
Es ist ein weiterer Vorfall, der der Welt einmal mehr zeigt, wie abhängig sie von Facebook ist. Und er kommt zu einem empfindlichen Zeitpunkt. Eine Whistleblowerin hat über Wochen brisante Interna veröffentlichen lassen. Sie enthüllen vor allem, dass sich Facebook und sein Gründer Zuckerberg herzlich wenig um soziale Beziehungen und das Wohlbefinden seiner Nutzer scheren.
Seit der Unternehmens-Gründung erzählt Zuckerberg immer wieder, dass er Freunde weltweit verbinden will. Aber selten war deutlich wie heute, dass die Geschichte des freundlichen sozialen Netzwerks eine Mär ist. Zuckerberg ist der Chef über einen der größten Marktplätze für Waren und Aufmerksamkeit weltweit. Und um nichts anderes geht es ihm.
Hier nur drei exemplarische Beispiele: Für Promis wie den Ex-Präsidenten Donald Trump oder Fußballstar Neymar etwa galten Facebooks Nutzungsregeln in der Vergangenheit nur bedingt. Hetzkommentare wurden nicht automatisch gelöscht, das gleiche gilt für Nacktfotos. Mit solchen Bildern einer Frau wollte sich der Fußballer rächen, nachdem sie ihn der Vergewaltigung bezichtigt hatte.
Und dann sind da noch Dokumente, die zeigen, wie Zuckerberg nach eigenem Ermessen die Polarisierung in der Gesellschaft hoch- und runterfährt. Dazu muss er nur die Regeln ändern, nach denen Empörung stiftende Beiträge angezeigt werden. Die sind in der Regel gut fürs Geschäft. Runterdrosseln lies Zuckerberg diese deshalb nur, als Facebook rund um die US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr unter besonderer Beobachtung stand.
Viele Kleinunternehmer sind gefährlich abhängig
Als am Montag auf Facebook, WhatsApp und Instagram nichts mehr ging, waren vor allem Teile der Wirtschaft betroffen. Auch wenn Zuckerberg etwas anderes suggeriert: die fast vergessenen Schulfreunde hat am Montagabend sicherlich niemand vermisst und seinen Liebsten kann man auch per SMS oder Signal schreiben.

Imageschaden: Anfang der Woche waren Facebook, Whatsapp und Instagram stundenlang für Millionen Nutzer nicht erreichbar. Doch CEO Zuckerberg äußerte sich dazu nur knapp.
Aber immer mehr Kleinunternehmer wickeln einen Großteil ihres Geschäfts über die Plattformen ab oder verdienen darüber ihren Lebensunterhalt. Sie sind nicht so flexibel. Facebook selbst treibt diesen Trend voran, es verdient an Verkaufsgebühren und Anzeigen. Je abhängiger die professionellen Nutzer von den Plattformen sind, desto besser für Facebook.
Am Montagabend wusste keiner der Betroffenen in zahlreichen Ländern, wann sie wieder Verkaufsshows starten, mit Streaming von Online-Kursen Geld verdienen und Kundenanfragen beantworten können würden.
Zuckerberg hatte für sie trotzdem kein „sorry“ übrig. Die wesentliche Kommunikation zu den Problemen überließ er – wie schon im Fall der Enthüllungen – lieber einem Manager. Von ihm sah und hörte man in den vergangenen Wochen nur Witze, Bilder vom Fechtspiel mit seiner Tochter und vom Surfen.
Leidet Zuckerberg unter Realitätsverlust?
Nach allem, was passiert ist, fragen sich nicht nur Facebook-Kritiker: Leidet der Alleinherrscher über eines der mächtigsten Unternehmen unter Realitätsverlust? Oder hat er kein Gewissen?
Fakt ist nun einmal: Keiner dieser inzwischen unzähligen Skandale konnte Facebook bislang etwas anhaben, ob es um Angriffe auf die US-Wahlen, live gestreamte Attentate oder gestohlene Daten ging.
Auch die neuesten Vorfälle begleiten Investoren mit einem Schulterzucken. Die Aktie leidet kaum. Und die Unternehmer sind ja auch schon wieder zurück. Parallelstrukturen lohnen sich für viele von ihnen nicht – da müssten die Dienste deutlich öfter ausfallen.
Gefragt ist deshalb nun mehr denn je die Politik. Am Dienstag sagte Whistleblowerin Frances Haugen vor dem US-Kongress aus. Endlich scheinen sich Kritiker aus beiden politischen Lagern auch einig, dass sie etwas unternehmen müssen gegen die Übermacht dieses Konzerns.
Die Macht von Facebook steht im Missverhältnis zur politischen Insensibilität seines Gründers. Erstmals haben sie mit der Expertin für Algorithmen jemanden, die ihnen dazu wichtige Einblicke ermöglichen kann. Es ist eine einmalige Gelegenheit – und sie muss ergriffen werden.
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