Kommentar: Die Münchener Sicherheitskonferenz wird zum Akt westlicher Selbstvergewisserung

Der Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist zurück mitten in Europa.
Als die Münchener Sicherheitskonferenz am Nachmittag des 20. Februar 2022 zu Ende ging, blieben der Ukraine nur noch drei Tage Frieden. Bis zuletzt hatten sich die in der bayerischen Hauptstadt versammelten Politiker, Militärs und Forscher der Hoffnung hingegeben, Wladimir Putin drohe nur und Russland werde den Nachbarn nicht angreifen. Das war eine leichtfertige, ja fahrlässige Annahme, wie wir heute wissen.
Seit dem brutalen russischen Angriff ist die Welt aus den Fugen. Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist wieder denkbar, sogar in Europa. Wie in Hochzeiten des Kalten Kriegs grassiert in Nato-Ländern die Angst vor einer atomaren Eskalation.
Das überwunden geglaubte Denken in Einflusssphären ist zurück. Eine Überraschung mit Blick auf Russland sollte das eigentlich nicht sein. Moskau hatte bereits zuvor demonstriert, dass es die gewaltsame Verschiebung von Grenzen als legitimes Mittel sieht, um an alte Weltmachtfantasien anzuknüpfen. China hat sein unverhohlenes Großmachtstreben bislang mit zivilen Mitteln verfolgt. Aber an der Entschlossenheit Pekings, Taiwan notfalls auch gewaltsam dem eigenen Staatsgebiet einzuverleiben, zweifelt kaum jemand ernsthaft.
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Ein Jahr nach Beginn des Ukrainekriegs fällt die Welt zurück in die Ära der Blockkonfrontation. Der Systemwettbewerb zwischen Autokratien und Demokratien wird nicht länger nur ideologisch ausgefochten, sondern auch mit Panzern und Raketen. Der Glaube an eine funktionierende internationale Ordnung und die Stärke des Rechts wird vom Recht des Stärkeren abgelöst. Jahrzehntelange wirtschaftliche Bande sind kein Garant mehr für ein belastbares Verhältnis.

„In Zeiten wie diesen kann die Münchener Sicherheitskonferenz kaum mehr sein als ein Forum zur Selbstvergewisserung des ‚Westens‘.“
Große Schwellenländer und andere aufstrebende Nationen Afrikas und Asiens könnten in der neuen bipolaren Ordnung irgendwann gezwungen sein, sich für einen Block zu entscheiden. Dass diese Entscheidung nicht zwangsläufig zugunsten der liberalen Demokratien ausfallen wird, zeigt die Weigerung Indiens oder Brasiliens, wegen des russischen Angriffskriegs mit Moskau zu brechen. Aus Sicht der Menschen in Mumbai oder Rio sind die wachsende soziale Kluft oder die Folgen des Klimawandels drängendere Probleme als ein Tausende Kilometer entfernter Krieg in Europa. Und die Inder sehen den Nachbarn China als weitaus größere Bedrohung als Russland.
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In Zeiten wie diesen kann die Münchener Sicherheitskonferenz kaum mehr sein als ein Forum zur Selbstvergewisserung des „Westens“. Russische Regierungsvertreter wurden bewusst nicht eingeladen. Auch dem iranischen Mullah-Regime, welches das Freiheitsstreben seiner eigenen Bevölkerung brutal unterdrückt, wollen die Organisatoren kein Forum im Bayerischen Hof bieten. Die chinesische Regierung allerdings wird hochrangig vertreten sein, um für ihr Modell der sozialistischen Marktwirtschaft zu werben. Und der „globale Süden“ kann entscheiden, auf welche Seite der neuen Weltordnung er sich schlägt.


Selbst wenn der Ukrainekrieg wider Erwarten rasch enden sollte, ist eine rasche Rückkehr zur alten regelbasierten Ordnung schwer vorstellbar. Zumindest nicht, solange Wladimir Putin regiert. Das auch der Nato nicht fremde Denken in Einflusssphären droht zu einem neuen Wettrüsten zu führen. Und zur Verschwendung finanzieller und menschlicher Ressourcen, die zur Lösung drängender Probleme gebraucht würden, die die gesamte Menschheit betreffen. Wichtig ist, dass die neue Blockkonfrontation nicht zu andauernder Sprachlosigkeit führt. Ein Riss durch die Welt lässt sich nur mit Dialog vermeiden – auch wenn es im Augenblick noch die Waffen sind, die sprechen.
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