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KommentarDie Politik gefährdet das Wachstum im Osten Europas

In Ungarn und Polen wird die Erfolgsgeschichte Osteuropas desavouiert. Das populistische Irrlichtern wird verheerende wirtschaftliche Folgen haben.Mathias Brüggmann 07.07.2021 - 18:23 Uhr Artikel anhören

Polen überzeugt mit starken Wirtschaftsdaten, doch mit ihren autokratischen Tendenzen irritiert die amtierende Regierung die Europäische Union. Die droht mit Entzug von Wirtschaftshilfen.

Foto: NurPhoto/Getty Images

Rumänien, Ungarn und Polenso heißen aktuell die Wachstums-Europameister. Deutlich schneller als die Länder der Euro-Zone entwachsen diese osteuropäischen Staaten wirtschaftlich der Coronakrise. Und deutsche Unternehmen tragen schon seit Jahren viel Geld in Form von Investitionen dorthin.

Aus gutem Grund: Polen ist direkter Nachbar, Ungarn nur durch EU-Binnengrenzen getrennt, an denen keine Kontrollen mehr stattfinden. Die Motorenwerke in Ungarn und Polen sind eng und just in time in die Produktionsprozesse in Sindelfingen, Ingolstadt und anderswo eingebunden.

Es gibt kaum einen deutschen Industriekonzern oder größeren Mittelständler, der keinen Produktionsstandort im Osten hat. Die Waschmaschine eines deutschen Markenherstellers wird oft nicht nur in Lodz zusammengeschraubt, sondern inzwischen dort auch technisch entwickelt. Dennoch kennen viele Deutsche die einstige Textil- und heutige Technik-Metropole, wenn überhaupt, nur dank des Schlagers von Vicky Leandros „Theo, wir fahr’n nach Lodz“.

Europas Osten ist vielen Westeuropäern unbekannt oder sogar fremd. Und die Politik der Regierungen in Polen und Ungarn, die Korruptionsaffären des tschechischen Premiers, politische Morde in der Slowakei oder das populistische Gerede von Tschechiens Präsidenten entfremden Ost- und Westeuropa noch weiter voneinander.

Das ist brandgefährlich für beide Seiten: Denn ohne den Osten ist Europa nicht vollständig.

Der Wandel Europas wäre ohne die Völker Mittel- und Osteuropas nie zustande gekommen

Unvergessen ist der Aufstand des Prager Frühlings, der mit Sowjetpanzern niedergewalzt wurde. Oder der mutige Danziger Werftarbeiter Lech Walesa, der mit seiner unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc in Polen die Freiheit erstreikte. Deutschlands Einheit, das Ende des Kalten Krieges und der Wandel Europas, der die Saturiertheit des alten Kontinents aufgebrochen hat, wären ohne die Völker Mittel- und Osteuropas nie zustande gekommen.

Mit nur einem Flügel können weder der deutsche noch der polnische oder rumänische Adler fliegen, auch wenn Viktor Orbán in Ungarn, Jaroslaw Kaczynski in Polen, Milos Zeman in Tschechien oder Janez Jansa, der mit Slowenien aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, mit ihrer populistischen Politik momentan so ziemlich alles Erdenkliche zur Spaltung Europas beitragen.

Wenn die Regime von Warschau bis Ljubljana weiter auf Konfrontation mit Brüssel setzen, nimmt die Bereitschaft zu immer neuen Aufbaumilliarden in Form von Strukturmitteln drastisch ab. Die mit EU-Geld und somit dem Steuergeld der westeuropäischen Nettozahler gebauten Autobahnen sind keine Einbahnstraßen.

Wirtschaftlich ist der Osten momentan extrem erfolgreich. Aber der Kurs der spaltenden Populisten und illiberalen Demokraten isoliert nicht nur politisch, sondern wird auch ökonomisch zum Hemmschuh werden. Billiger Strom, niedrige Lohnkosten und gut ausgebildete Arbeitskräfte haben Investoren an Weichsel, Moldau und Donau gelockt. Aber inzwischen sind auch dort die Löhne erheblich gestiegen, macht sich ein Fachkräftemangel breit. Das bremst ausländische und einheimische Investoren.

Die engstirnige Politik der Herren Kaczynski oder Orban vertreibt den Geist für Innovation und Disruption

Wenn Tochterunternehmen westlicher Konzerne oder innovative Unternehmen in Osteuropa qualitativ wachsen wollen, brauchen sie Talente aus aller Welt. Und die Welt ist inzwischen so viel bunter als das Schwarz-Weiß der Herren Kaczynski oder Orban. Deren engstirnige Politik vertreibt Freigeister, Andersdenkende und -lebende, also Menschen, die gerade für Disruption und Innovation gebraucht werden. Und sie spaltet Europa, anstatt es durch eine Angleichung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse stärker zu machen.

Der Frust, der den Humus für die Pflanze Populismus im Osten bildet, kam, als mit der Wende der frühen 1990er-Jahre Kapitalismus pur statt Sozialer Marktwirtschaft einzog. Eine krude Mischung aus Verstaatlichungstendenzen in ganzen Branchen, Vetternwirtschaft im Umfeld der Parteichefs, politischer Ausgrenzung und sozialen Wohltaten als Dünger kam hinzu. In Polen etwa verteilt Kaczynskis PiS-Partei für Recht und Gerechtigkeit Sozialgeschenke an die eigene Klientel – bezahlen müssen Mittelschicht und Mittelstand, die ohnehin nicht PiS wählen. Bitter für ein Land, das als erstes in Europa eine Verfassung mit Gewaltenteilung hatte, als in Deutschland noch ein Kaiser herrschte.

Verwandte Themen Polen Ungarn Europäische Union Konjunktur Wirtschaftspolitik Europa

Was fehlt, ist Vielfalt und Verlässlichkeit in Wirtschaft und Politik, die dauerhaftes Wachstum bringen können. Mit dem jetzt eingeschlagenen kulturellen Kurs steht nach dem gerade heftigen Wachstum eine Dürreperiode bevor.

Mehr: „Die Medien sollten polnisch sein“ - Wie regierungskritische Journalisten in Polen drangsaliert werden.

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