Kommentar: Die USA haben jetzt die Klarheit, auf die die Deutschen noch warten

Der Öffnungsplan trägt eindeutig nicht die Handschrift des US-Präsidenten.
Die zurückliegende Woche hat uns interessante Einblicke in zwei unterschiedliche Kulturen im Umgang mit dem Coronavirus gebracht, nennen wir diese: Die deutsche und die amerikanische Kultur.
Auf der einen Seite war da am Mittwoch der Auftritt von Angela Merkel. Eigentlich ging es darum, die allmähliche Öffnung Deutschlands nach dem Corona-Schock zu verkünden. Doch die Bundeskanzlerin sprach vor allem über alles, was nicht gehe, nannte das Erreichte einen „zerbrechlichen Zwischenerfolg“ im Kampf gegen das Virus. Die Öffnung der Schulen könne nur „ganz behutsam“ von statten gehen. Über weitere Lockerungen soll alle 14 Tage beraten werden.
Weitergehende Versprechen an die Bürger? Bloß nicht! Nach diesem Auftritt der Kanzlerin war man regelrecht dankbar, dass man sich ab dem kommenden Monat in Deutschland wieder die Haare schneiden lassen kann.
Einen Tag später stellte dann Donald Trump seinen Öffnungsplan vor. Verglichen mit der vorsichtigen Merkel glich sein Auftritt dem eines Bullen, der ungeduldig an seiner Kette zerrt und endlich zurück auf die Weide will. Er ließ seine medizinischen Experten einen Dreistufenplan vorstellen, der eine weitgehende Lockerung der Corona-Beschränkungen zumindest möglich macht. Vereinfacht gesagt: Immer wenn ein US-Bundestaat oder auch Landkreis über einen Zeitraum von 14 Tagen sinkende Fallzahlen vorweisen kann, soll er von einer Stufe zur nächsten übergehen.
In Stufe eins können Restaurants mit Einschränkungen wieder aufmachen, in Stufe zwei die Schulen. Stufe drei sieht immer noch zahlreiche Einschränkungen des öffentlichen Leben vor und würde sich verglichen mit dem trostlosen Status Quo dennoch wie ein hedonistisches Paradies anfühlen: Urlaubsreisen! Barbesuche! Rock'n'Roll!
Sicher, um überhaupt in Phase eins zu kommen, müssen die US-Bundesstaaten eine Vielzahl von Bedingungen erfüllen. So zum Beispiel die Fähigkeit, lokale Corona-Ausbrüche rasch durch das Identifizieren und Testen von Kontaktpersonen zu bekämpfen. Ob es überhaupt Staaten gibt, die diese Bedingungen bereits jetzt erfüllen? Sehr fraglich, schließlich mangelt es in den USA noch immer an Corona-Tests.
Und natürlich ist es eine abenteuerliche Volte von Trump, dass er noch vor wenigen Tagen bei der Öffnung die „absolute Autorität“ gegenüber den Bundesstaaten reklamierte und ihnen jetzt lediglich unverbindliche Richtlinien für den Ausstieg vorgibt. Was wesentlich näher an der verfassungsrechtlichen Realität der USA liegt als die bizarren Allmachtsphantasien, die Trump zuvor geäußert hat.
Doch wie wohltuend auch, dass hier eine Regierung tatsächlich einen kompletten Plan für die Rückkehr zur Beinahe-Normalität vorlegt. Ohne festen Zeitplan zwar, aber mit klaren medizinischen Kriterien, wann ein Bundesstaat oder Landkreis in die nächste Phase übergehen kann.
Und wie beruhigend, dass dieser Plan in seinen Details eindeutig nicht Trumps Handschrift trägt – dafür enthält das Konzept zu viele Fakten und Kleingedrucktes. Der Plan stammt von Deborah Birx, Medizinerin und Koordinatorin der Corona-Task Force im Weißen Haus, und Task-Force-Mitglied Anthony Fauci. Als Corona-Hasardeure oder Speichellecker des Präsidenten sind die beiden bislang nicht in Erscheinung getreten.
Welcher Auftritt liegt nun näher an der Corona-Realität, der von Merkel oder der von Trump? Das ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen. Sicher ist aber: Die Sehnsucht nach einem klaren Weg zurück zur Normalität ist groß. In den USA ebenso wie in Deutschland.





