Kommentar: Die Welt blickt auf Friedrich Merz – was er jetzt leisten muss


Es ist ein ungewöhnlich deutliches Zeichen transatlantischer Aufmerksamkeit: Die „New York Times“ stellt sich in einem Leitartikel hinter den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz. Unter der Überschrift „Warum wir Deutschlands konservativem Kanzler die Daumen drücken“ warnt die US-Zeitung eindringlich vor einer möglichen AfD-Regierung – und sieht in Merz einen Hoffnungsträger für Stabilität, Reformen und den Schutz der liberalen Demokratie. Die Zeitung macht deutlich: Es geht um die Verteidigung der politischen Mitte gegen populistische Zentrifugalkräfte.
Deutschland kommt eine Führungsrolle zu
Was aus US-amerikanischer Sicht wie ein außenpolitisches Interesse an Europas Stabilität wirkt, spiegelt zugleich eine Erwartungshaltung wider, die längst nicht mehr nur über den Atlantik reicht. Auch in Brüssel ist zu spüren: Europa braucht Deutschland als Führungsmacht im besten Sinne.
Denn Europa steht vor einer Phase wachsender Unsicherheit. Der Krieg in der Ukraine, der Wettbewerb mit China, die technologischen Rückstände gegenüber den USA: All das setzt die Europäische Union unter Druck. Gleichzeitig gerät die politische Mitte in mehreren Mitgliedstaaten ins Wanken. Gerade in dieser Gemengelage braucht Europa einen starken Anker. Doch derzeit fällt die Bundesrepublik eher als Risikofaktor denn als Stabilitätsgarant auf.
Die jüngste Konjunkturprognose der EU-Kommission zeichnet ein ernüchterndes Bild: Für das laufende Jahr wird nur noch ein Wachstum von 1,1 Prozent in der EU und 0,9 Prozent in der Euro-Zone erwartet. Für Deutschland sieht es noch düsterer aus – das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen, das am Mittwoch vorgestellt wird, dürfte für einen weiteren Dämpfer sorgen.
Der Regierungswechsel unter Friedrich Merz könnte die Wende bringen – vorausgesetzt, es gelingt ihm, die Wirtschaftspolitik wieder berechenbar zu gestalten und den Investitionsstau aufzulösen. Das würde nicht nur Deutschland selbst guttun, sondern auch positive Impulse für die gesamte EU setzen. Brüssel braucht Berlin nicht als Zauderer, sondern als Motor.
Offenheit der EU beim Schuldenpaket
Dementsprechend erfährt die Regierung Merz bereits vorab europäische Unterstützung: Die EU-Kommission signalisiert Offenheit gegenüber dem geplanten 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket, obwohl Zweifel an dessen Vereinbarkeit mit den neuen Fiskalregeln bestehen. An den Finanzmärkten kam das Paket ohnehin gut an. Entscheidend ist, dass mit dem Geld sinnvoll gewirtschaftet wird. Offenbar hat Finanzminister Lars Klingbeil die Ressorts aufgefordert, bei den Investitionen zu kürzen – ein Vorgehen, das dem ursprünglichen Gedanken diametral entgegensteht.
Eine glückliche Fügung für Kanzler Merz könnte sich in diesem Zusammenhang auch darin zeigen, dass amerikanischen Staatsanleihen die Spitzenbonität entzogen wurde. Dadurch rückt Deutschland für Investoren noch stärker als sicherer Hafen ins Zentrum. Sinkende Renditen auf deutsche Staatsanleihen würden die Finanzierung des Investitionspakets zusätzlich erleichtern.
Auch beim von Merz angekündigten Industriestrompreis, der energieintensive Unternehmen entlasten soll, zeigt sich Brüssel kompromissbereit – obwohl das Vorhaben eigentlich gegen geltendes EU-Beihilferecht verstößt. Selbst das europäische Lieferkettengesetz, einst als Prestigeprojekt konzipiert, liegt die nächsten beiden Jahre auf Eis – auch, um den Handlungsspielraum Deutschlands nicht weiter zu beschneiden. In der Migrationspolitik gibt es bereits einen deutschen Kurswechsel, dem Brüssel nicht widerspricht.






Europa streckt die Hand aus. Wohlstand und Stabilität hängen mehr denn je auch vom Kurs in Berlin ab. Noch ist es eine Hypothese. Doch es ist eine, auf deren Gelingen viele hoffen – nicht nur in New York.
Mehr: Keiner will mehr in Deutschland investieren? So ließe sich das sofort ändern






