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KommentarDie Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen ist nicht garantiert

Die Bereitstellung eines wirksamen Impfstoffes erscheint für viele als die Erlösung von der Pandemie. Eine Garantie dafür, dass sich Erreger mit einem Serum kontern lassen, gibt es jedoch nicht.Gregor Waschinski 16.09.2020 - 03:51 Uhr Artikel anhören
Foto: Burkhard Mohr für Handelsblatt

Ein Impfstoff wird kommen. Dieses Versprechen geben Regierungen auf der ganzen Welt, es ist der Fluchtpunkt der Pandemiepolitik. Und so warten die Menschen nicht nur in Deutschland auf den Moment der Erlösung. Nach dem zehrenden Lockdown im Frühjahr, dem historischen Wirtschaftseinbruch sowie den Sorgen um die Gesundheit versprüht der Gedanke an eine Dosis Immunität die Hoffnung, vielleicht schon im kommenden Frühjahr wieder an das vom Coronavirus verdrängte normale Leben anzuknüpfen.

Doch was passiert, wenn sich ein in der Breite wirksamer Impfstoff trotz des beispiellosen Forschungseinsatzes im kommenden Jahr noch als Illusion erweist? Auch auf dieses Szenario sollte die Politik vorbereitet sein.

Noch nie haben Wissenschaft und Pharmaunternehmen mit einer derartigen Geschwindigkeit solch enorme Ressourcen in die Entwicklung eines Impfstoffs gesteckt. Noch nie haben so viele Staaten gleichzeitig auf der Welt nach einem Gegenmittel gegen eine Infektionskrankheit gesucht.

Darauf gründet sich der Optimismus, dass die Forschung eher früher als später dem Spuk von Sars-CoV-2 ein Ende bereiten wird. Und darauf basiert die politische Leitlinie, das Infektionsgeschehen bestenfalls zu unterdrücken, mindestens aber stark einzuschränken.

Die moderne Medizin hat große Leistungen vollbracht: Die Pocken sind ausgerottet, Polio wurde erfolgreich bekämpft. Der Weg zu diesen Erfolgen dauerte allerdings Jahrzehnte. Und eine Garantie, Erreger mit einem Serum zu kontern, gibt es nicht.

Das zeigt das Fehlen funktionierender Impfstoffe gegen die Infektionskrankheiten Malaria und HIV/Aids, aber auch gegen die eher harmlosen Coronaviren, die in Deutschland bereits vor Sars-Cov-2 heimisch waren.

Bei der aggressiveren Corona-Variante, die sich binnen weniger Monate um den Globus ausbreitete, ist die Erwartungshaltung: Ein Impfstoff möge in Rekordzeit zur Verfügung stehen. Russland hat schon ein Vakzin in Umlauf gebracht – und scheint damit die unvollständigen klinischen Studien an der eigenen Bevölkerung fortzusetzen.

In China werden bereits bestimmte Berufsgruppen geimpft, die ein höheres Ansteckungsrisiko haben. Zuletzt gaben die Vereinigten Arabischen Emirate einen Corona-Impfstoff zur eingeschränkten Nutzung frei.

Transparenter Umgang zwingend nötig

Für die Zulassung von Impfstoffen in Europa gelten strenge Regeln, doch hier herrscht ebenfalls ein enormer Druck. Der britisch-schwedische Pharmakonzern Astra-Zeneca und die Universität Oxford mussten die in mehreren Ländern stattfindende Erprobung ihres Impfstoffkandidaten unterbrechen, weil eine Studienteilnehmerin gesundheitliche Probleme entwickelte.

Nur rund eine Woche später wurde die Testreihe dann wieder aufgenommen, mit behördlichem Segen. Ging es auch deshalb so schnell, weil es sich um eines der aussichtsreichsten Präparate eines westlichen Herstellers handelt?

Impfen ist eine der größten medizinischen Errungenschaften. Das hängt auch mit dem Vertrauen der meisten Menschen in die schützende Wirkung der Wirkstoffe zusammen. Um dieses Vertrauen zu erhalten, brauchen wir einen transparenten Umgang mit den Risiken beim Corona-Impfstoff. Die Verfahren, mit denen die Behörden die Sicherheit garantieren und womöglich gefährliche Nebenwirkungen ausschließen, müssen ohne Abstriche eingehalten werden.

Zur Transparenz gehört auch, die Chancen eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2 realistisch darzustellen. Selbst wenn im kommenden Jahr ein Kandidat zugelassen wird, bedeutet das nicht, dass dieser wie etwa bei der Masernimpfung in fast allen Fällen wirken wird.

Wirksamkeit nicht garantiert

Der renommierte US-Immunologe Anthony Fauci sagte kürzlich, er rechne bei Corona lediglich mit einer Effizienz des Impfstoffs von 70 bis 75 Prozent. Dass der Anteil der nach einer Impfdosis geschützten Menschen noch viel niedriger liegen kann, zeigen die Erfahrungen mit der Grippe. Die Wirksamkeit der Influenzavakzine unterscheidet sich je nach Saison bisweilen deutlich, lag im schweren Grippewinter 2017/2018 aber nur bei 15 Prozent.

Wenn ein Impfstoff eine Ansteckung nicht verlässlich verhindern kann, soll zumindest das Ziel erfüllt werden, dass er bei den Infizierten die Verläufe abmildert. Allerdings: Ausgerechnet bei betagten Menschen, die ein höheres Risiko schwerer und tödlicher Verläufe von Covid-19 haben, schlagen Impfungen oft nicht mehr gut an. Denn die Leistungsfähigkeit des Immunsystems nimmt mit steigendem Alter ab.

Diese Effekte könnten auch beim Anti-Corona-Serum auftreten. Sobald ein sicherer und wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht, werden außerdem wohl noch Monate vergehen, bis ausreichend Dosen hergestellt und diese verabreicht sind.

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Impfstoffe seien für die Bundesregierung der „entscheidende Schlüssel“, um die Pandemie zu überwinden. So formulierte es Forschungsministerin Anja Karliczek. Die bisherigen Ergebnisse von Wissenschaft und Pharmaindustrie machen Mut.

Doch es wäre fahrlässig, Unwägbarkeiten auszublenden. Für den Fall einer Impfstoff-Enttäuschung sollte die Regierung einen Plan haben, wie sie die Bevölkerung weiter auf der Gratwanderung gen Normalität mitnimmt. Bußgelder und Verbote werden dann nicht mehr reichen.

Mehr: Spahn hält Herdenimmunität durch freiwillige Corona-Impfung für möglich

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