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  4. Sondierungsgespräche: Das Wirtschaftsministerium will keiner haben – was für ein Fehler!

KommentarDie Wirtschaft sitzt nur noch am Katzentisch – statt am Kabinettstisch

Das Bundeswirtschaftsministerium gilt in den Gesprächen zur Regierungsbildung nur noch als Steinbruch für andere Ressorts. Dabei brauchen die Unternehmen eine starke Stimme.Thomas Sigmund 05.10.2021 - 08:43 Uhr Artikel anhören

Ein Gegengewicht zu den Etatisten in allen anderen Ressorts ist die Grundsatzabteilung im Wirtschaftsministerium schon lange nicht mehr.

Foto: imago images/Political-Moments

Bei den Gesprächen über die Regierungsbildung gilt offiziell die Regel: zuerst der Inhalt, dann die Zuschnitte der Ministerien und am Ende die Personalien. In Wirklichkeit ist es anders. In vielen Fällen ist schon klar, welche Partei welches Ministerium für den Fall der Fälle bekommen soll.

Die Grünen besetzen das Klimaschutzministerium und haben ein Auge auf das Außenministerium geworfen. Um das Kanzleramt ringen Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD). FDP-Chef Christian Lindner hat bereits eindeutig erklärt, er werde der nächste Bundesfinanzminister.

Alle verhandeln also über alles. Nur das Bundeswirtschaftsministerium möchte keiner mehr haben. Dabei wurde Ludwig Erhard (CDU), der größte Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, sogar Kanzler. In jüngerer Zeit wollte es ihm Sigmar Gabriel (SPD) gleichtun und sah in dem Haus, das er um die gesamte Energiepolitik erweiterte, ein Sprungbrett in den Kanzlersessel. Der einflussreiche Otto Graf Lambsdorff begründete das Ministerium einst als FDP-Erbhof. Nach ihm folgten unzählige Liberale zuerst in Bonn und dann in Berlin als erste Handelsvertreter und Ordnungspolitiker Deutschlands. Das ist alles Geschichte.

Steinbruch für andere Ressorts

Das stolze Haus in der Scharnhorststraße gilt offenbar nur noch als Steinbruch für andere Ressorts. Die Digitalabteilung und Teile der Industrieabteilung, Stichwort Industrie 4.0, könnten einem neu geschaffenen Digitalministerium zugeschlagen werden. Die beiden riesigen Energieabteilungen wandern in ein neues Klimaschutzministerium.

Die Grundsatzabteilung als eigentliches Flaggschiff des Hauses verkümmerte ohnehin zusehends. Ein Gegengewicht zu den Etatisten in allen anderen Ressorts ist sie schon lange nicht mehr. Die Abteilung intervenierte nicht, als der amtierende Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) seine industriepolitischen Vorstellungen verfasste und einen Aufschrei in der Industrie bis hin zu den Familienunternehmen auslöste. Der frankophile Saarländer wollte viel Planification machen und wenig Wettbewerb.

Ludwig Erhard, der größte Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, wurde sogar Kanzler.

Foto: imago images/Horstmüller

Es ist nicht das erste Mal, dass das Wirtschaftsministerium sich nur schwer behaupten kann. Helmut Schmidt erbeutete als Bundesfinanzminister die Abteilung Geld und Kredit mit der Begründung, die ordnungspolitischen Bedenkenträger würden seine währungspolitischen Ambitionen nicht mittragen.

Der nächste Aderlass fand unter Kurzzeit-Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) statt. Auch er war von den Franzosen geprägt. Das Schatzministerium dominiert dort die Wirtschaft. In der Zeit von Lafontaine wanderten die Grundsatzabteilung und die Europaabteilung in das Bundesfinanzministerium. 

Alle wollen nur ihre Ruhe – und die Verbände schlafen

Es ist schon sehr verwunderlich, dass sich mit Ausnahme von Friedrich Merz (CDU) niemand für das Wirtschaftsministerium zu interessieren scheint. Scholz will mit FDP und Grünen eine „Fortschrittsregierung“ schmieden, Laschet eine „Zukunftskoalition“. Anscheinend finden Fortschritt und Zukunft ohne die Wirtschaft statt.

Die klassischen Aufgaben Wettbewerb, Außenhandel oder Industrie werden gar nicht mehr von der Politik beackert. Wirtschaftspolitik wird nur noch aus der Froschperspektive betrieben. Die mächtigen und einflussreichen Wirtschaftsminister Erhard, Lambsdorff und Karl Schiller hatten immer eine Draufsicht auf den Standort Deutschland mit all seinen internationalen Verflechtungen und Wertschöpfungsketten.

Sie hatten auch ein Gespür für die Zusammenhänge von Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Erhard wollte „Wohlstand für alle“, Schiller sagte seinen Genossen, sie sollten ihre „Tassen im Schrank lassen“, und das Lambsdorff-Papier hat Generationen geprägt.

Jetzt droht dem Ministerium ein unrühmliches Schicksal. Es könnte auf ein reines Ministerium zur Gewerbeförderung und des Außenhandels zurückgestutzt werden. Ein Fürsprecher für Wettbewerb und Marktwirtschaft soll offenbar nicht am Kabinettstisch, sondern am Katzentisch sitzen. Der Wirtschaftsminister soll laut Aufgabenprofil im Kabinett stören – aber alle wollen nur Ruhe.

Verwandte Themen CDU SPD Armin Laschet Olaf Scholz FDP Industriepolitik

Was für ein Fehler! In Zeiten des Decouplings von China und den USA, einer Weltenergiekrise und einer anziehenden Inflation wäre eine starke Stimme für die Wirtschaft so nötig wie noch nie. Die Wirtschaftsverbände schlafen indes vor sich hin. Sie wollen nur das Schlimmste verhindern, doch das reicht nicht. Sie müssen an die Politik mit Nachdruck appellieren, das Wirtschaftsministerium nicht ausbluten zu lassen.

Mehr: Interview mit Otto Graf Lambsdorff: Nie bereit, ein Neoliberaler zu sein

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