Kommentar Die WTO braucht eine „Wonder Woman“

Die neue WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala kommt aus Nigeria.
Es ist eine „Mission Impossible“ für Ngozi Okonjo-Iweala. Die neue Chefin der Welthandelsorganisation WTO erbt von ihren Vorgängern einen Berg von Problemen, hat jedoch kaum Macht, um diese zu lösen. Seit fast 20 Jahren hat die WTO kein globales Handelsabkommen mehr zustande gebracht, ihre Schiedsgerichte zur Beilegung von Handelskonflikten sind durch eine US-Blockade paralysiert.
Die Genfer Organisation bekommt weder die unfairen Handelspraktiken Chinas in den Griff, noch hat sie ein Regelbuch für den immer digitaler werdenden Welthandel. In fast allen wesentlichen Fragen sind die 164 Mitgliedsländer heillos zerstritten, die auf Konsens angelegten Entscheidungswege gelten als mittelalterlich.
Nur als „Wonder Woman“ wird es der 66-jährigen Nigerianerin gelingen, die WTO aus ihrer Existenzkrise zu führen. Und „Führen“ ist das, worauf es ankommt. Nur eine starke Persönlichkeit mit klaren Prioritäten kann die Institution zu alter Stärke zurückführen.
Unterschätzen sollte man die erste Frau und erste Afrikanerin an der WTO-Spitze nicht: Dass Okonjo-Iweala bei ihrer Wahl sowohl vom französischen Ex-WTO-Chef Pascal Lamy als auch vom ehemaligen amerikanischen Weltbank-Präsidenten Robert Zoellick unterstützt wurde, zeigt, dass die Nigerianerin ungewöhnliche Allianzen schmieden kann, um sich durchzusetzen.
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Gesprächsbedarf mit Joe Biden und Xi Jinping
Ganz oben auf der To-do-Liste der neuen WTO-Chefin steht eine zügige Reform der Streitschlichtung. Auch wenn die US-Blockade bei der Neubesetzung der Berufungsgerichte eine direkte Folge der nationalistischen Handelspolitik des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump war, müssen die Schiedsgremien dringend reformiert und transparenter werden.
In einer Zeit, da die Pandemie den Protektionismus in vielen Regionen noch beflügelt, sind die Schiedsrichter der WTO oft die letzte Instanz vor dem Ausbruch von Handelskriegen. Okonjo-Iweala sollte deshalb schnell das direkte Gespräch mit US-Präsident Joe Biden suchen.
Danach muss die WTO-Chefin ein ernsthaftes Gespräch mit Xi Jinping suchen. Der chinesische Präsident präsentiert sich auf der Weltbühne gern als Garant von Freihandel und Globalisierung, sein Land hat jedoch noch nicht einmal alle Zusagen erfüllt, die es beim WTO-Beitritt 2001 gemacht hat. Der von Xi propagierte Staatskapitalismus verzerrt den Welthandel zusätzlich.
Zu den Prioritäten gehören auch Mindestregeln für den digitalen Welthandel. Seit Anfang 2019 bemüht sich die WTO um ein Regelbuch für den E-Commerce. Bislang nimmt aber nur die Hälfte aller WTO-Mitglieder an den Verhandlungen teil. Hier entscheidet sich jedoch die Zukunftsfähigkeit der Genfer Organisation.
Gelingt es Okonjo-Iweala nicht, einen Konsens über die globalen Spielregeln der digitalen Weltwirtschaft zu schmieden, hat sich die WTO überlebt, und auch eine „Wonder Woman“ kann sie nicht mehr vor dem dann verdienten Untergang retten.
Mehr: Weltwirtschaft am Wendepunkt, Wechsel an WTO-Spitze: Diese Aufgaben liegen vor Okonjo-Iweala.
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