Kommentar: Die zwei Gesichter der Giorgia Meloni


Giorgia Meloni in Berlin: Italien ist unter der Ministerpräsidentin ein verlässlicher Partner geblieben.
Die Stimmung zwischen Olaf Scholz und Giorgia Meloni ist herzlich: Der Bundeskanzler begrüßt sie als die „liebe Giorgia“, es wird viel gelächelt und gescherzt beim Besuch der rechtsnationalen italienischen Regierungschefin in Berlin. Beim Antrittsbesuch im Februar, den die Deutschen so weit wie möglich hinausgezögert hatten, sah das noch anders aus. Damals war die Angst groß, Meloni, die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, könnte mit ihrem radikalen Bündnis Europa spalten.
Mittlerweile ist die 46-Jährige mehr als zwölf Monate im Amt – und außenpolitisch die wohl größte Überraschung des Jahres. Im Wahlkampf hatte sie noch gegen Europa und Deutschland gewettert. Auch gab es die Befürchtung, dass sie mit ihren rechten Bündnispartnern von Lega und Forza Italia die einheitliche Haltung Europas gegenüber Russland gefährden würde.
Nichts von alledem ist geschehen: Italien ist unter Meloni ein verlässlicher Partner geblieben. Sie gibt sich als Proeuropäerin, hat ein vertrauliches Verhältnis zu US-Präsident Joe Biden aufgebaut, unterstützt die Ukraine und verurteilt den russischen Angriffskrieg. Auch das Verhältnis zu EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen soll ausgezeichnet sein. Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, würde Melonis Postfaschisten am liebsten in seine Parteienfamilie aufnehmen.
Selbst bei der Haushaltsplanung überrascht sie, streicht teure Wahlversprechen und Sozialleistungen. Nicht einmal Schadenfreude über das Berliner Haushaltschaos und die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands, das während der Euro-Krise gerne im Süden des Kontinents als „Zuchtmeister“ verspottet wurde, ist zu vernehmen.
Doch auch die Einigkeit bei den großen, vor allem außenpolitischen Linien sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Nach wie vor gehen von Meloni große, hauptsächlich innenpolitische Risiken aus. Seit dem Amtsantritt der Rechten hat sich das gesellschaftliche Klima in Italien aufgeheizt. So zahm sich Melonis Truppe im Ausland gibt, so populistisch agiert sie im Inneren. Die Parolen werden immer nationalistischer, fremdenfeindlicher, ausgrenzender. Parolen, die mit europäischen Werten nicht zusammenpassen.
Gesetzesideen aus purem Nationalismus
Ein Schreiben des Innenministeriums aus dem Frühjahr hält Beamte etwa dazu an, die Ausstellung von Geburtsurkunden für Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren zu unterbinden. Die Leihmutterschaft im Ausland will die Regierung als „internationales Verbrechen“ anerkennen, was Gefängnisstrafen bedeuten würde. Für viele homosexuelle Paare ist das Prozedere bislang die einzige Chance auf ein Kind – in Italien ist die Leihmutterschaft schon seit 2004 verboten.

Olaf Scholz empfing Giorgia Meloni am Mittwoch in Berlin.
Auch Schwangere, die abtreiben wollen, finden immer schwerer einen Arzt – vor allem in Regionen, die die Rechten regieren. In den Marken etwa darf nur noch bis zur siebten Schwangerschaftswoche abgetrieben werden, im Rest des Landes bis zur neunten. Dazu kommen Gesetze aus purem Nationalismus: Meloni will Laborfleisch verbieten lassen – wegen des „Schutzes unserer Tradition“. Fremdwörter in Behörden, Schulen und dem Staatsfernsehen sollen verboten werden – unter Androhung von Strafen.
Seine populistische Seite zeigte das Meloni-Bündnis auch beim Streit mit Deutschland über die Finanzierung von Seenotretter-NGOs im Mittelmeer: Lega-Vize Andrea Crippa verglich das Vorgehen mit der Nazizeit, damals habe Berlin die Länder mit seinem Heer überfallen, heute finanziere es die „Invasion der illegalen Einwanderer“. Selbst Meloni schrieb im September einen empörten Brief an Scholz, obwohl die Finanzierung schon länger bekannt war.
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Meloni braucht solche Aufreger – denn die Migration hat sie, anders als im Wahlkampf versprochen, nicht in den Griff bekommen. 2023 sind viel mehr Flüchtlinge nach Italien gekommen als im Vorjahr. Ihr Befreiungsschlag soll nun ein Abkommen mit Albanien sein, dessen rechtliche Details vollkommen schleierhaft sind.
Ihrer Beliebtheit schadet das alles nicht: Ihre Fratelli, mit der Flamme des faschistischen Diktators Benito Mussolini im Logo, sind in Umfragen mit 28 Prozent weiterhin stärkste Kraft im Land. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Meloni die gesamte Legislatur von fünf Jahren durchregieren wird. Auch das wäre für italienische Verhältnisse durchaus eine Überraschung.
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