Kommentar: Draghi oder nichts: Ohne seinen Regierungschef zieht Italien auch Europa in die Krise

Krise zur Unzeit.
Die Italiener sind Regierungskrisen gewohnt. Sie gehören zum politischen Alltag dazu – nur wenige Ministerpräsidenten haben es bisher geschafft, eine ganze Legislatur durchzuhalten: Zuletzt gelang das Kunststück Silvio Berlusconi vor gut 20 Jahren. Doch wohl selten kriselte es in Rom so zur Unzeit wie gerade.
Die EU hat einen Krieg vor der Haustür, die Coronazahlen schnellen in Italien wieder nach oben. Der Konflikt mit Russland drückt zudem massiv auf die Wachstumserwartungen von Europas drittgrößter Volkswirtschaft. Das Land ist ähnlich wie Deutschland sehr abhängig von russischem Erdgas. Die Inflation ist rasant gestiegen, die Energiepreise belasten Unternehmen und Familien. Gleichzeitig wütet im Land eine der schlimmsten Dürreperioden mit Milliardenschäden in der Landwirtschaft.
Es ist eine derart heikle Phase mit Problemen auf allen Ebenen, in der sich Italien schon gar kein politisches Vakuum leisten kann.
Käme es tatsächlich zu vorgezogenen Neuwahlen, würde sich auch der von Draghi angetriebene Reformprozess verzögern. Die nächsten Tranchen aus dem EU-Wiederaufbaufonds hängen aber von ebenjenen Reformen ab – und könnten sich um Monate verzögern. Dabei braucht Italien die Gelder dringend, um das abgeschwächte Wachstum weiter anzukurbeln.
Auch hinter der Haushalts- und Finanzplanung stünde plötzlich ein großes Fragezeichen. Traditionell wird das Budget nach der Sommerpause verhandelt und verabschiedet. Stattdessen könnte das Land durch einen Wahlkampf gelähmt werden.
Italien droht eine monatelange Instabilität, die auch Auswirkungen auf den Rest der Euro-Zone hätte. Die Märkte zeigen sich schon jetzt nervös, die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen ziehen rasch an. Kaum auszudenken wären Neuwahlen, bei denen sich die postfaschistischen „Brüder Italiens“ als stärkste Kraft durchsetzen und dann ein mögliches rechtes Bündnis in Rom schmieden würden.
Draghi sollte ohne die Rebellen der Fünf Sterne weitermachen
Noch ist Draghis Rücktritt nicht final. Auf Wunsch von Staatspräsident Sergio Mattarella soll der Premier am Mittwoch im Parlament sprechen und sondieren, wie es mit der derzeitigen Mehrheit weitergehen könnte. Es ist aber völlig unklar, ob Draghi überhaupt gewillt ist, sein Mandat unter diesen Bedingungen fortzuführen.
Von Beginn an hat der 74-Jährige mit dem Politzirkus gehadert. Auch nach anderthalb Jahren im Amt ist er immer noch ein Seiteneinsteiger, im Herzen Notenbanker und kein Volkstribun. Konnte er zu Beginn seines Mandats noch durchregieren, warfen ihm die Parteien seiner breiten Koalition mit der Zeit zunehmend Steine in den Weg.
Draghi ließ die Attacken anfangs noch souverän an sich abprallen, zeigte sich in den vergangenen Monaten aber zunehmend genervt von all den Querschüssen. Immer lauter mahnte er die linken und rechten Kräfte in seinem Bündnis zum Zusammenhalt, drohte zuletzt schon mit dem Rücktritt.
Am Donnerstag hat er seine Drohung wahrgemacht. Dem Land ist damit nicht gedient.
Draghi sollte weitermachen, in neuer Konstellation, ohne die Rebellen der Fünf-Sterne-Bewegung, die die aktuelle Krise angezettelt haben. Auch ohne die Partei hätte Draghi genügend Unterstützer für eine Mehrheit, könnte bis zum Ende der Legislatur im Frühjahr 2023 weiterregieren.






Draghi hat sich selbst schon einmal scherzhaft als „Großvater der Institutionen“ bezeichnet. Genau jetzt und vielleicht mehr als je zuvor braucht Italien seinen besonnenen und international angesehenen „Nonno“.
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