Kampf zwischen Hedgefonds und Kleinanlegern: Aufseher müssen so schnell wie möglich Konsequenzen ziehen
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KommentarDrama um Gamestop-Aktien: Aufseher müssen so schnell wie möglich Konsequenzen ziehen
Der Kampf zwischen Kleinanlegern und Hedgefonds führt zu dramatischen Verwerfungen an den Kapitalmärkten. Dort drohen tiefgreifende Schäden, wenn die Aufseher nicht eingreifen.
Die Turbulenzen rund um die Gamestop-Aktie sind ein Indiz für strukturelle Probleme am Aktienmarkt.
(Foto: AP)
Der bisher kurze, aber heftige Orkan an den Börsen scheint derzeit zumindest vorübergehend abgeflaut zu sein. Beim Kampf zwischen einem Schwarm internetaffiner Kleinanleger und mächtigen Hedgefonds um die Aktie der US-Videospielhandelskette Gamestop kam es, wie es kommen musste: Der Kurs stürzte ab.
Wie bei jedem Schneeballsystem stehen die Privatinvestoren, die als Letzte eingestiegen sind, jetzt als die großen Verlierer da. Aber auch die Hedgefonds mussten nach der über die Internetplattform Reddit organisierte Attacke der „Kleinen“, aber vielen schmerzhafte Verluste einstecken.
Nach zwei Wochen, die nicht nur die Wall Street erschüttert haben, bleibt die Frage: Was haben wir eigentlich gerade erlebt? War es ein singuläres Ereignis in einer abgelegenen Ecke des US-Aktienmarkts, das die marktbeherrschenden Großinvestoren nicht weiter kümmern muss? Oder sehen wir gerade, wie sich Privatanleger im Kollektiv als neue Kraft an den Märkten aufschwingen – mit allen Vor- und Nachteilen?
Die Regulierer täten gut daran, das Drama rund um Gamestop ernst zu nehmen. Es ist ein Indiz für strukturelle Schwächen an den Märkten, die sich schnell rächen können, wenn die Börsen in ernsthafte Turbulenzen geraten. Die Geschehnisse zeigen aber auch, dass sich die Privatinvestoren immer bewusster werden, dass sie gegenüber den großen Spielern systematisch benachteiligt werden.
Über beide Probleme sollten die Aufseher intensiv nachdenken und die nötigen Konsequenzen ziehen. Immerhin hat der Absturz von Gamestop Stand Mittwochmittag 27 Milliarden Dollar an Kapital vernichtet.
Die Benachteiligung der Kleinaktionäre bedeutet nicht, dass die Reddit-Revolte ein gerechter Aufstand der Enterbten war. Wie immer an den Märkten ging es vor allem um Gewinne. In nur zehn Handelstagen hat die konzertierte Aktion der über Reddit koordinierten Trader die Gamestop-Aktie von um die 20 Dollar auf 350 Dollar in die Höhe getrieben, ohne dass es irgendwelche bahnbrechenden fundamentalen Nachrichten zu dem Unternehmen gegeben hätte.
Diese absurde Entwicklung zeigt, wie fließend die Grenze zwischen massenhaft im Internet geteilten Investmentempfehlungen und gezielter Marktmanipulation ist. Die Aufseher müssen jeden Fall, der auch nur ein bisschen nach Manipulation oder Betrug riecht, akribisch verfolgen. Denn solche Aktionen erschüttern das Vertrauen in die Integrität des gesamten Markts.
Einige Lektionen aus dem Gamestop-Drama liegen auf der Hand. Die Hedgefonds gerieten auch so stark unter Druck, weil sie mit mehr Aktien des Spielhändlers auf Kursverluste gewettet haben, als eigentlich im Umlauf sind. Overshorten nennt sich dieses Phänomen.
Es kommt zustande, weil Großinvestoren wie Versicherer und Pensionsfonds Aktien mehrfach an Hedgefonds verleihen dürfen. Die Hedgefonds werfen diese geliehenen Papiere dann auf den Markt und hoffen, dass sie sie später billiger zurückkaufen können. Die Differenz ist ihr Gewinn.
Bei Gamestopp machte ihnen allerdings die Attacke der Kleinanleger einen Strich durch die Rechnung. Die Hedgefonds mussten sich bei rasant steigenden Kursen mit Aktien eindecken, um ihre Verluste zu begrenzen. Durch das Overshorten fielen diese Turbulenzen noch deutlich heftiger aus. Deshalb sollte diese Praxis unbedingt untersagt werden.
Für enorme Empörung bei den Kleinanlegern sorgten die temporären Handelsunterbrechungen einiger Onlinebroker. Dadurch konnten die Privatinvestoren keine Gamestop-Aktien mehr kaufen oder verkaufen, während die Hedgefonds weiter handelten.
Schuld daran war die Überlastung der Broker beim Abrechnen der Geschäfte. Das sogenannte Clearing dauert im US-Aktienhandel in der Regel zwei Tage. In turbulenten Börsenzeiten ist das deutlich zu lang. Eine Verkürzung der Clearingfristen auf einen Tag oder besser noch Echtzeit wäre zwar sehr teuer für die Branche. Aber die Investition würde sich lohnen, weil sie die Märkte stabiler und gerechter machen würde.
Glossar: Die wichtigsten Informationen zu Hedgefonds
Im Prinzip funktionieren Hedgefonds wie klassische Investmentfonds. Sie sammeln Geld von Anlegern ein und versuchen, das Kapital möglichst gewinnbringend anzulegen. Im Idealfall sind diese Renditen allerdings möglichst unabhängig von den Schwankungen an den Aktien- und Rentenmärkten, um so eine Absicherung zu erreichen.
Dabei gehen die Fonds zum Beispiel volkswirtschaftliche Wetten ein, oder sie setzen auf Kursausschläge bei sogenannten Sondersituationen wie Fusionen und Übernahmen. Zur Spezies der Hedgefonds zählen auch voll automatisierte Handelssysteme, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz Muster an den Märkten erkennen und ausnutzen.
Das verwaltete Vermögen der Branche ist laut den Daten von Hedge Fund Research (HFR) im vierten Quartal 2020 um den Rekordwert von 290 Milliarden Dollar gewachsen. Damit erhöhte sich der Bestand auf insgesamt 3,6 Billionen Dollar, was ebenfalls einen Höchstwert darstellt.
Glossar: Carsten Herz
Das sogenannte Shortselling zählt ebenfalls zu den Hedgefonds-Strategien. Dabei setzen Finanzinvestoren auf fallende Kurse von Wertpapieren. Sie leihen sich dafür Aktien von Dritten, beispielsweise großen Fonds oder Pensionsgesellschaften. Anschließend verkaufen sie die Papiere – in der Hoffnung, diese Aktien zu einem späteren Zeitpunkt günstiger zurückkaufen zu können. Ihr Profit ist also umso größer, je stärker der Differenzbetrag zwischen Verkaufs- und späterem Rückkaufkurs ausfällt.
Für die Verleiher der Aktien besteht der Anreiz in einem kleinen Zusatzverdienst. Denn normalerweise erhalten die institutionellen Investoren eine Leihgebühr für den Deal, die individuell verhandelt wird.
Beim Handel mit bestimmten Finanzprodukten ist es für Profiinvestoren wie Hedgefonds nicht notwendig, die ganze Summe, mit der gehandelt wird, auch wirklich auf ihrem Tradingkonto zu hinterlegen. Es reicht eine sogenannte Margin, die nur einen Bruchteil des tatsächlichen Volumens ausmacht.
Drehen die Märkte jedoch, kommt es zum „Margin Call“. Er umschreibt die Warnung, die ein Trader erhält, wenn das Kapital auf seinem Konto unter den zum Offenhalten der Position benötigten Mindestbetrag gefallen ist. Er muss dann Geld nachschießen oder aber seine Positionen liquidieren.
Dadurch können sich selbst verstärkende Kursbewegungen entstehen, die den gesamten Markt belasten. Zum Beispiel, wenn Hedgefonds auf dem falschen Fuß erwischt werden und in großem Stil profitable Positionen verkaufen müssen, um den Margin Calls nachzukommen.
Experten sprechen von einem „Short Squeeze“, wenn Investoren, die sich mit einem Leerverkauf verspekuliert haben, sich nachträglich mit Papieren der Firma eindecken müssen, um ihre Position abzusichern.
Solche Deckungskäufe können die Kurse rasant nach oben treiben und eine Kettenreaktion auslösen. Dies kann passieren, wenn viele Leerverkäufer zur gleichen Zeit ihre Wetten auflösen oder mehr Wertpapiere leer verkauft wurden, als überhaupt im Umlauf sind.
Das in Deutschland bekannteste Beispiel für einen Short Squeeze waren die Kurskapriolen von VW bei der gescheiterten Übernahme durch Porsche 2008. Weil nur wenige Anteilscheine frei handelbar waren, schoss der Kurs binnen weniger Tage drastisch in die Höhe. Auf einen Short Squeeze zu wetten ist hochspekulativ.
Die Manipulation von Börsenkursen wird in Europa durch die „Marktmissbrauchsverordnung“ verboten. Es ist illegal, durch die Erteilung eines Handelsauftrags falsche oder irreführende Signale hinsichtlich einer Aktie zu geben.
Ebenso ist es verboten, Informationen zu verbreiten, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich einer Aktie geben oder ein künstliches Kursniveau herbeiführen. Der Nachweis solcher illegalen Praktiken war in der Vergangenheit in der Praxis allerdings äußert schwierig.
In einem Punkt haben Kleinanleger auf jeden Fall einen systematischen Nachteil gegenüber den Großinvestoren: Sie sind auf öffentlich zugängliche Informationen über die Unternehmen angewiesen. Großinvestoren kommen dagegen regelmäßig in den Genuss privater Treffen mit Topmanagern. Bei solchen Treffen achten die Beteiligten zwar peinlich genau darauf, dass keine Insiderinformationen weitergegeben werden. Aber manchmal reicht auch schon eine Andeutung für wertvollen Erkenntnisgewinn.
Man muss solche Treffen nicht unbedingt verbieten. Aber vielleicht wäre es eine Alternative, wenn sich die Topmanager auch den Kleinanlegern stellen würden. Bei Reddit gibt es das Format „AMAs“ – die Abkürzung steht für „ask me anything“, auf Deutsch: „Frag mich alles“. Diese Herausforderung hat auch schon der ehemalige US-Präsident Barack Obama vor seinem letzten Wahlkampf angenommen. Es endete mit Obamas Sieg.
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