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KommentarEs ist fraglich, ob das Vertrauen in den Astra-Zeneca-Impfstoff wieder hergestellt werden kann

Die Entscheidung der Bundesregierung, die Impfung mit dem Vakzin auszusetzen, ist richtig. Sicherheit geht vor Schnelligkeit. Doch das Vertrauen könnte nachhaltig beschädigt sein.Maike Telgheder 16.03.2021 - 17:16 Uhr Artikel anhören

Deutschland hat die Impfung nach dem Auftreten neuer Fälle von gefährlichen Blutgerinnseln ausgesetzt.

Foto: imago images/Joerg Boethling

Der Druck auf die Bundesregierung wächst: Die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland steigt weiter, und jetzt droht auch noch die Impfkampagne einige Wochen länger zu dauern, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Impfung mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff nach neuen Meldungen zu möglichen schweren Nebenwirkungen ausgesetzt hat.

Die Regierung tat gut daran, den Empfehlungen des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts zu folgen. Die Opposition aber nutzt das zur Attacke: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bemängelt einen erheblichen Vertrauensverlust, weil die Impfung gestoppt wurde. Seiner Ansicht nach hätte angesichts der Seltenheit der Fälle eine Prüfung bei laufenden Impfungen ausgereicht.

Das parteipolitische Hickhack einmal außen vor gelassen: Um welchen Verlust welchen Vertrauens geht es hier eigentlich? Das Vertrauen der Bürger in die Bundesregierung? Oder das Vertrauen in den Impfstoff? Oder vielleicht auch das in die Zulassungsbehörde, also die Europäische Arzneimittelagentur, die den Impfstoff von Astra-Zeneca Ende Januar genehmigt hat und die Vorfälle jetzt noch einmal überprüfen soll?

Das Ansehen des Astra-Zeneca-Impfstoffs hat bei vielen Bürgern schon seit der Zulassung gelitten. Beziehungsweise noch früher, als sich in den Studien die Wirksamkeit des Impfstoffs als geringer herausstellte als die der mRNA-Vakzine von Biontech und Moderna. Dann kam die Einschränkung der Ständigen Impfkommission, die die Anwendung des Impfstoffs in Deutschland nur für Erwachsene bis 65 Jahre empfahl, weil es für die Altersgruppe darüber keine statistisch ausreichende Datengrundlage gab. Die Europäische Arzneimittelagentur allerdings hatte diese Einschränkung nicht gemacht.

Diese Diskrepanz war für viele Bürger nicht nachvollziehbar. Mit dem Impfstart in Deutschland kamen Berichte über Nebenwirkungen wie Fieber und Erkältungssymptome auf, die, wenn es medizinisches Personal betraf, auch Klinikabteilungen und Arztpraxen außer Gefecht setzten.

Astra-Zeneca-Impfstoff ist wirksamer als eine Grippeimpfung

Dass die Wirksamkeit des Astra-Zeneca-Impfstoffs viel höher als bei jedem Grippeimpfstoff ist und die Nebenwirkungen überschaubar waren, ging in dieser Gemengelage nahezu unter. In der Folge verweigerten sich viele Bürger einer Impfung mit dem Astra-Zeneca-Vakzin. Zusätzlich sorgte der britische Pharmakonzern mit Lieferkürzungen für ein negatives Medienecho.

Doch während all diese Themen noch eher einem PR- und Kommunikationsversagen zuzuschreiben sind, hat sich die Lage jetzt geändert. Nun geht es um eine Überprüfung der Sicherheit des Impfstoffs. Innerhalb weniger Tage gab es in Deutschland eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen bei Menschen, die zuvor eine Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von Astra-Zeneca erhalten hatten.

Foto: Burkhard Mohr

Deshalb hat das Paul-Ehrlich-Institut empfohlen, die Impfungen auszusetzen, bis die Fälle genauer untersucht und bewertet worden sind. Damit kommt das Institut, das für die Sicherheit und Wirksamkeit biologischer Arzneimittel in Deutschland zuständig ist, seiner Kontrollfunktion nach. Das ist wichtig und richtig, denn es zeigt, dass die Sicherheitsüberprüfung von Medikamenten in Deutschland grundsätzlich funktioniert.

Dass das Institut die Aussetzung der Impfung empfiehlt und nicht bei fortlaufender Impfung prüft, ist angesichts der Schwere der aufgetretenen Fälle, die bei drei der sieben Menschen mit Hirnvenenthrombosen zum Tod führten, ebenfalls nur konsequent. Denn ein Institut, das ein Höchstmaß an Redlichkeit und Unparteilichkeit zu seinen Leitprinzipien erklärt, darf eine wissenschaftlich begründete Entscheidung nicht politischen Zielsetzungen wie einer schnelleren Impfkampagne opfern.

Das schafft zumindest schon einmal Vertrauen in die Instanz der Zulassungsbehörde. Und da sich die Experten des Paul-Ehrlich-Instituts in den entscheidenden Gremien der Europäischen Arzneimittelagentur (Ema) mit vielen anderen Wissenschaftlern aus Europa beraten werden, dürfen die Bürger auf eine fundierte Analyse der Vorfälle auf Basis der verfügbaren Daten in Europa vertrauen.

Viele Fragen müssen geklärt werden. Ob die Impfung für die Hirnvenenthrombosen ursächlich verantwortlich ist und warum mehr Frauen als Männer betroffen sind. Und ob es eine Rolle spielt, dass in Deutschland mehr jüngere Menschen geimpft wurden als beispielsweise in Großbritannien. Denn die bisherigen Impferfahrungen haben gezeigt, dass jüngere Menschen etwa bei Fieber und Kopfschmerzen stärker auf die Impfung von Astra-Zeneca reagieren als ältere.

Mehr Vorteile als Risiken?

Dass die Impfung mit dem Vakzin aber auch eine hohe Schutzwirkung von 94 Prozent gegenüber schweren Covid-Erkrankungen bietet und in dieser Hinsicht zum Teil sogar bessere Ergebnisse liefert als mRNA-Impfstoffe, haben mittlerweile Daten aus einer größeren Beobachtungsstudie in Schottland gezeigt. Auch dies wird bei der Abwägung von Risiko und Nutzen der Impfung eine Rolle spielen.

Die Ema will ihre Entscheidung am Donnerstag bekanntgeben. Bislang sieht die Behörde keine Hinweise darauf, dass der Impfstoff ursächlich für die Bildung von Blutgerinnseln ist. Die Ema hält die Vorteile einer Impfung mit dem Vakzin von Astra-Zeneca nach wie vor für größer als die Risiken.

Bleibt es dabei, ist dennoch fraglich, ob das Vertrauen der Bevölkerung in den Impfstoff wieder hergestellt werden kann. Denn sie urteilt nicht nur nach rational-wissenschaftlicher Logik.

Für viele Bürger wird das Vakzin gefühlt auch bei weiterer Zulassung immer noch die schlechtere Alternative zu den zugelassenen mRNA-Impfstoffen sein. Es ist eben auch vor allem der Erfolg des Impfstoffs von Biontech und Pfizer, der das Mittel aus Großbritannien schlechter aussehen lässt, als es beurteilt werden würde, wenn es der einzige Impfstoff gegen das Coronavirus wäre.

Verwandte Themen Deutschland Biontech Großbritannien Europa Pfizer Moderna

Was das Vertrauen in die Bundesregierung anbelangt, so war sie gut beraten, der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts zu folgen. Nach dem holprigen Anlaufen der Impfkampagne, dem Lockdown-Gerangel mit den Ländern und dem verpatzten Start bei den Selbsttests hätte die Regierung das Vertrauen der Bevölkerung vollends verspielt, wenn mögliche schwere Nebenwirkungen in Kauf genommen würden, um einen Impffahrplan einzuhalten.

Mehr: Was der Stopp von Astra-Zeneca für die Impfungen in Deutschland bedeutet

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