Kommentar EU-Ratspräsidentschaft: Im Interesse Europas kann man Macron nur Glück wünschen

Europa sollte alles tun, um Macron von allzu national gefärbten Initiativen abzuhalten.
Paris Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige. Wenn das Sprichwort zutrifft, dann ist Emmanuel Macron äußerst tüchtig. Denn er hat eine fast schon unverschämte Portion Glück: Anfang 2022, gut fünf Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl, beginnt die französische Ratspräsidentschaft in der EU.
Eine zweite glückliche Fügung kommt hinzu: Deutschland wird Macron nicht in den Schatten stellen. Die neue Kanzlerin oder der neue Kanzler wird in europapolitischen Dingen anfangs ein Lehrling sein.
Für Frankreichs Staatschef geht es indes um viel mehr als eine großartige Chance zur Selbstdarstellung. Die im Kern rechtsextreme, im Auftreten rechtspopulistische Marine Le Pen ist die gefährlichste Herausforderin des Amtsinhabers. Den Wählern muss Macron beweisen, dass seine Entscheidung für eine proeuropäische Politik richtig ist und sich für die Franzosen auszahlt. Für Deutschland geht es um einiges: Denn nicht alles, was Macron vorhat, verdient Unterstützung.
Einige der Vorhaben, die Macron mit Hochdruck vorantreiben wird, stehen bereits fest. Weit oben auf seiner Liste stehen ein neuer Stabilitätspakt für die Kontrolle der nationalen Haushalte, die CO2-Abgabe an Europas Außengrenzen und die „Ökologisierung“ von Handelsabkommen, die Stärkung der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik sowie die Reform des Schengen-Abkommens. Wie verträgt sich das mit deutschen Interessen?
Bei den Regeln für eine solide Haushaltspolitik will Macron vermeiden, dass der aktuell ausgesetzte Stabilitätspakt unverändert wieder in Kraft gesetzt wird. Denn die Vorschriften würden alle Staaten dazu zwingen, sofort die Staatsausgaben um mehrere Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung zu senken – was das Wachstum schwächen würde. Frankreich, wo die Verschuldung dank teurer Antikrisenprogramme über 130 Prozent steigt, hat ein besonders großes Problem mit der Rückführung seiner Verbindlichkeiten.
Doch die französischen Vorstellungen sind noch sehr unpräzise. Die geltenden Obergrenzen für Defizit und Verschuldung – drei Prozent beziehungsweise 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – sollen relativiert, ein verbindliches Ziel für die zulässigen Staatsausgaben soll eingeführt werden.
Das kann wirtschaftlich sinnvoll sein. Doch noch ist völlig unklar, wie das ohne Vertragsänderung gehen soll und auf welche Weise ein maximal zulässiger Pfad für die Staatsausgaben verbindlich gemacht werden kann.
Stillstand in Handelspolitik
Die CO2-Abgabe an der Grenze sieht Macron als Teil des europäischen Kampfs gegen den Klimawandel. Gegen „carbon leakage“ zu sein ist richtig. Denn die Verlagerung von Produktionen mit hohem Ausstoß an Klimagiften aus der EU in Regionen ohne Auflagen schadet allen.
Doch die Abgabe ist vielleicht das falsche Instrument: Sie ist sehr schwer zu berechnen und birgt das Potenzial zu Handelskonflikten sowie dem Verzicht auf die Anwendung gegenüber mächtigen Handelspartnern wie China.
In der Handelspolitik droht der Stillstand bei wichtigen Abkommen wie dem mit dem Mercosur-Bündnis in Südamerika. Frankreich hält das Abkommen auf, angeblich weil es nicht anspruchsvoll genug sei in Sachen Umweltschutz. Das ließe sich heilen, die Mercosur-Staaten sind dazu bereit.
Doch was Macron verheimlicht, ist sein Schielen auf die Lobby der Landwirte im eigenen Land. Die fürchtet mehr Fleischimporte aus Argentinien, Brasilien und Uruguay, einen der wenigen Bereiche, in denen das Mercosur-Abkommen die Position der Südamerikaner verbessert.
Die öffnen ihre Grenzen weit für die EU-Industrie, machen Europa Zugeständnisse, von denen China und die USA träumen. All das will Macron gefährden, um die französischen Bauern vor seiner Wahl 2022 ruhigzustellen – ein Verstoß gegen Europas Souveränität.
Stärkung der Außen- und Verteidigungspolitik
Zustimmen kann man Macron bei der Stärkung der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik. Der Präsident hat in den vergangenen Monaten einiges dafür getan, bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Er bemüht sich darum, Licht in die dunkelsten Kapitel französischer Außenpolitik zu bringen, das Verhalten während des Algerienkriegs und während des Völkermords in Ruanda. Auf diese Weise kann Vertrauen entstehen, dass europäisches Engagement, auch militärisch etwa in Afrika, mehr ist als die Fortsetzung französischer Kolonialpolitik.
Bei der Reform des Schengen-Vertrags setzt Macron den Akzent auf den Schutz der Außengrenzen. Das ist ein wichtiger Aspekt. Aber er muss ergänzt werden durch eine rational gesteuerte Zuwanderung und durch die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Da steht der Präsident bislang eher auf der Bremse.
Frankreichs EU-Präsidentschaft wird jetzt vorbereitet. Im Interesse Europas kann man Macron nur Glück wünschen, weil ein Sieg von Le Pen die EU in eine Art politischen Winter stürzen würde. Doch ebenfalls im Interesse Europas sollte alles getan werden, um Macron von allzu national gefärbten Initiativen abzuhalten.
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