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Kommentar Flüchtende aus Afghanistan in der Region zu versorgen, ist nicht die beste Idee

Aus Afghanistan geflohene Menschen sollen vor allem in der Region versorgt werden. Es gibt eine bessere Idee als diese.
07.09.2021 - 15:44 Uhr 2 Kommentare
Viele Flüchtlinge aus Afghanistan wollen nicht in der Region bleiben. Quelle: AP
Afghanen vor der US-Botschaft in Kirgistan

Viele Flüchtlinge aus Afghanistan wollen nicht in der Region bleiben.

(Foto: AP)

Noch will niemand eine Zahl nennen, aber das dürfte sich bald ändern: Die EU-Staaten stehen unter Druck, bald zu sagen, wie viele Afghanen sie aufnehmen werden. Die USA und Großbritannien haben solche Aussagen gemacht, vor allem aber Kanada. Das Land will jetzt schnell 20.000 Menschen aufnehmen, bei einer Bevölkerung, die nicht einmal halb so groß ist wie die Deutschlands.

Bei einer Konferenz Ende des Monats wollen die EU-Regierungen über Umsiedlungen sprechen. Wenn ausreichend viele Staaten sich Kanada zum Vorbild nehmen, könnte es tatsächlich um Größenordnungen gehen, die einen Unterschied in der Region machen. Kanada hatte schon unabhängig von der Machtübernahme in Afghanistan beschlossen, in diesem Jahr 36.000 Menschen aufzunehmen. Das entspricht etwa 0,1 Prozent der eigenen Bevölkerung.

Würden sich alle entwickelten Staaten daran orientieren, könnte pro Jahr eine Million Menschen das Elend der Flüchtlingslager verlassen. Zwar werden nicht alle Industriestaaten mitmachen, viele Länder auch in der EU wehren sich gegen jeden einzelnen Menschen, dem sie ein neues Zuhause geben sollen.

Aber die Zahl zeigt, dass es möglich wäre, den Flüchtlingen ein Angebot zu machen: Sich für eine Umsiedlung zu bewerben hätte größere Aussichten auf Erfolg, als sich in die Hände von Schleppern zu begeben. Damit dieses Kalkül aufgeht, ist es wichtig, dass die Umsiedlungen keine einmalige Aktion sind, sondern es immer wieder die Chance gibt, sich zu bewerben.

Das würde dazu führen, dass sich deutlich weniger Menschen auf die gefährliche Reise machen. Die Fahrt in überfüllten Schlauchbooten über das Mittelmeer ist ja für viele Flüchtlinge nur die letzte Etappe einer Odyssee über verschiedene bewachte Grenzen und in den Fahrzeugen von Kriminellen.

Flüchtlingslager sind keine Lösung

Die deutsche Diskussion dreht sich aber vor allem um die Versorgung in der Region. Auch das ist wichtig. Die Nachbarstaaten Afghanistans mit dieser Aufgabe alleinzulassen wäre nicht gerecht – und es ist billig. Die Versorgung eines Flüchtlings im Nahen Osten kostet ein Bruchteil dessen, was sie in Europa kostet.

Eine Lösung ist es aber nicht. Wer in einem Flüchtlingslager lebt, hat in der Regel keine Möglichkeit, Arbeit zu finden und sich selbst zu versorgen. Das Problem wird also konserviert. Dass Kinder in solchen Lagern aufwachsen, ohne Aussicht auf eine Verbesserung, kann nicht die Antwort sein. Zumal die reichen Länder ihr Versprechen, die Flüchtlingsorganisationen ausreichend zu finanzieren, oft nicht eingehalten haben.

Die Vorstellung, die Menschen seien in den Nachbarländern besser aufgehoben, weil sie sich dann in ihrem eigenen Kulturkreis befänden, ist in den meisten Fällen naiv. Zwar gibt es Verbindungen zwischen Bevölkerungsgruppen in Afghanistan und Pakistan. Aber sogar innerhalb Afghanistans gibt es große kulturelle und sprachliche Unterschiede. Der Westen sollte sich nicht darauf verlassen, dass afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern eine Zukunft haben. In vielen Regionen schlägt ihnen sogar Feindschaft entgegen.

Mit Geld für Zelte und Lebensmittel kann der Westen weder das Desaster mildern, das er in Afghanistan mitverschuldet hat, noch kann er so einer großen Fluchtbewegung vorbeugen.

Gute Erfahrungen aus Kanada

Mit Umsiedlungen aber könnte die EU ihr wichtigstes Ziel der Flüchtlingspolitik erreichen: Es würden weniger Menschen auf eigene Faust nach Europa kommen, deren Herkunft unklar ist, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung kaum möglich ist und deren Verteilung auf die EU-Staaten zu einem unlösbaren Streit führt.

Wie die Umsiedlungen, oder Englisch: Resettlements, funktionieren können, macht Kanada vor. Dort können zusätzlich zum staatlich beschlossenen Flüchtlingskontingent Vereine, Städte oder Privatleute helfen. Sie übernehmen Patenschaften für Flüchtlinge, die dann nach Kanada geholt und in der ersten Zeit durch die Paten versorgt werden.

Ein solches Konzept könnte dabei helfen, dass nicht nur die Ortskräfte der deutschen Regierung nach Deutschland kommen können, sondern auch die vielen Mitarbeiter von privaten Organisationen und Initiativen, die sich in Afghanistan für Bildung, Entwicklung und Frauenrechte engagiert haben. Auch in Deutschland gibt es viele Städte und Privatpersonen, die sich an solchen Aktionen beteiligen würden, wenn man sie denn ließe.

Und es würde helfen bei der wichtigen Frage der Integration, weil es den Menschen einen ersten Anknüpfungspunkt in der Gesellschaft gäbe, lange bevor sie die Möglichkeit haben, im Arbeitsmarkt oder woanders Fuß zu fassen.

Mehr: Flucht vor den Taliban: EU ringt um Aufnahme von Schutzbedürftigen

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2 Kommentare zu "Kommentar: Flüchtende aus Afghanistan in der Region zu versorgen, ist nicht die beste Idee"

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  • Herr Wolf,

    danke für die dringend notwendige Klarstellung. Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu. Die Anerkennungsquote bei der Gewährung von Asyl liegt im Schnitt bei etwa 35 %, bei Migranten aus den Subsahara-Staaten meines Wissens sogar unter 10%. Wir reden also bei der überwiegenden Mehrheit der Migranten von Wirtschaftsflüchtlingen. Bei diesen Flüchtlingen sollten wir konsequent nach unseren Vorstellungen, Bedürfnissen und Interessen entscheiden, wen wir hier aufnehmen wollen und wen nicht. Dabei sollte der Grundsatz gelten, dass wir keine Zuwanderung in die Sozialsysteme brauchen und diese auch nicht wollen. Und vor allem brauchen wir Migranten, die willens und fähig sind, sich in eine moderne westliche Gesellschaft zu integrieren. Wenn man diese Messlatte für eine geordnete und gesteuerte Zuwanderung anlegt, die darauf abzielt, die "richtigen" Leute für unser Land zu gewinnen, könnte das Ganze für uns ein Gewinn werden. Bisher ist es das nicht- im Gegenteil.

  • im Artikel wird wieder nicht zwischen Asyl und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden. Das gelobte Kanada macht das sehr wohl und richtet seine Zuwanderung strikt nach seinen Bedürfnissen aus.
    Es geht nicht um Nebelbegriffe wie Paten oder Vereine sondern endlich um eine ehrliche Diskussion wieviel gesteuerte Zuwanderung unser Land braucht oder haben möchte und vor allem welche Leute abzulehnen sind.
    Diese harte und unbequeme Diskussion muss erstmal gesellschaftlich ohne Vorurteile auf allen Seiten geführt werden. Erst danach können konkrete Kontingente ohne innere Unruhen zu provozieren beschlossen werden. Kanada sucht sich seine Einwanderer selber gezielt aus und ist nicht das im Artikel beschriebenen Wolkenkuckucksheim, das ist nur die Bundesrepublik Deutschland.

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