Kommentar Frei verkäufliche Corona-Impfstoffe sind sozialer Sprengstoff

Von einem Mann wird ein Abstrich aus der Nase entnommen, um einen Corona-Test durchzuführen. Indien ist das weltweit am drittstärksten von der Corona-Pandemie betroffene Land.
Am Anfang der Pandemie hieß es noch: Vor dem Virus sind wir alle gleich. Dass das nicht stimmt, wissen wir inzwischen längst. Ärmere Menschen können sich deutlich schlechter vor dem Virus schützen als reichere. Sie haben oft nicht die Möglichkeit, sich im Homeoffice von der Außenwelt abzuriegeln, sondern müssen weiter zur Arbeit – mit zahlreichen Ansteckungsrisiken von der Kasse im Supermarkt bis zur Schlachtbank in der Fleischfabrik.
Den Zusammenhang zwischen niedrigem Einkommen und höherer Covid-19-Gefahr stellte zuletzt unter anderem eine Studie des Robert-Koch-Instituts her: Demnach waren auch in Deutschland ärmere Gegenden von der Krankheitswelle stärker betroffen als wohlhabendere.
Weltweit hat die Pandemie soziale Ungleichheiten offengelegt und sie vielfach weiter vergrößert. Der Plan, Corona-Impfstoffe schon in wenigen Monaten am freien Markt zu verkaufen, droht das Problem nun noch weiter zu verschärfen.
Der Vorstoß kommt ausgerechnet aus Indien, wo die individuelle Betroffenheit in der Coronakrise besonders offensichtlich von der gesellschaftlichen Stellung abhing: Während sich die Gutverdiener in Zeiten des Lockdowns in Metropolen wie Delhi und Mumbai in ihren komfortablen Stadthäusern zurückziehen konnten, mussten die Wanderarbeiter teils Hunderte Kilometer zu Fuß nach Hause marschieren.
Nun können die Reichen abermals auf eine Vorzugsbehandlung hoffen: Wenn der lokale Impfstoffkonzern SII tatsächlich wie angekündigt ab März Privatunternehmen mit dem Corona-Vakzin versorgt, wird wohl bald jeder die Impfung bekommen, der für sie genug Geld bietet.
Impfstoff wird zum sozialen Sprengstoff
Zwar verspricht SII, zuerst eine Großlieferung an die Regierung zu schicken. Doch solange der Impfstoff noch ein knappes Gut ist, bleibt der private Verkauf ein höchst fragwürdiges Geschäftsmodell. Es droht eine Situation, in der Angehörige von Risikogruppen in Indien oder anderen Schwellenländern vielfach noch Monate auf ihre Impfung warten müssen, während sich die Meistbietenden einen Platz ganz vorne in der Schlange sichern.
Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der durch die Coronakrise ohnehin bereits einer immensen Belastungsprobe ausgesetzt ist, entsteht so zusätzlicher Sprengstoff.
Der Westen trägt dabei eine Mitverantwortung, indem er die Knappheit weiter verschärft. Die reichen Industrieländer haben sich bereits Milliarden an Impfdosen vertraglich gesichert – mehr, als sie eigentlich benötigen. Sie können sich nun darüber freuen, dass es mit den Impfungen bald losgeht. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer müssen sich dagegen wohl noch bis mindestens Mitte 2021 gedulden, bis die ersten Impfdosen injiziert werden können. Eine faire Verteilung sieht anders aus.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.