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KommentarGaleria Karstadt Kaufhof und die Tristesse der Innenstädte

Sträflich vernachlässigt: Viele Kommunen haben wenig dafür getan, Menschen in die City zu locken – und schieben die Schuld jetzt auf die Kaufhäuser.Florian Kolf 03.07.2020 - 04:00 Uhr

Wie hier in der Frankfurter Zeil geht es beim "Schlussverkauf bei Karstadt" inzwischen nicht mehr nur um Sonderangebote bei Waren, sondern um den Ausverkauf ganzer Innenstädte.

Foto: dpa

Die Nachricht, dass Galeria Karstadt Kaufhof 62 seiner 172 Filialen schließen will, hat in vielen Städten wie eine Bombe eingeschlagen. Bürgermeister befürchten eine Verödung ihrer Innenstädte. Und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags warnt gar: „Die geplanten Filialschließungen nehmen den Innenstädten Zukunftsaussichten und den Menschen einen Ort der Versorgung und Begegnung in ihrer Stadt.“ Da werden die Kaufhäuser zum letzten Rettungsanker für die Attraktivität der Städte stilisiert.

Manchmal fragt man sich, wann die Verantwortlichen für die Stadtplanung zuletzt in einem Warenhaus von Karstadt oder Kaufhof gewesen sind. Ist keinem aufgefallen, dass sich schon lange nur noch wenige Kunden auf den riesigen Verkaufsflächen verlieren? Dass das durchschnittliche Sortiment schon längst keine jüngeren Kunden mehr anzieht? Dass das Personal immer weniger wird und damit auch gute Beratung kein Argument mehr für einen Einkauf im Kaufhaus ist?

Wer sich auf so einen Magneten verlässt, der hat viel falsch gemacht. Denn der Eigentümer Signa schließt die Häuser ja genau deshalb, weil sie keine Kunden mehr anziehen und nicht mehr in der Lage sind, wirtschaftlich betrieben zu werden. Die Coronakrise war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Und das kann man nicht mal nur der Geschäftsführung von Galeria Karstadt Kaufhof ankreiden. In einem Umfeld von architektonisch missglückten Fußgängerzonen, vernachlässigten Plätzen, in die schon lange nichts mehr investiert wurde, Ein-Euro-Läden und Handyshops tut sich auch das aufregendste Kaufhaus schwer, Kunden in die Innenstadt zu locken.

Sicher, in vielen Mittelstädten, in denen ohnehin seit Jahren mehr und mehr Geschäfte geschlossen haben, hat das Warenhaus noch eine wichtige Funktion in der Nahversorgung.

Zehntausende Geschäfte könnten in den nächsten Jahren schließen

Nach Schätzungen von Experten werden in den nächsten Jahren Zehntausende von Geschäften aufgeben müssen, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich ändern. Da reißt die Schließung eines großen Kaufhauses in der Tat eine Lücke. Doch das war den Stadtverwaltungen und der Politik lange bekannt. Nun dem Unternehmen fehlendes Verantwortungsbewusstsein vorzuwerfen, ist Heuchelei.

Gerade der langjährige Galeria-Chef Stephan Fanderl hat immer wieder Initiativen zur Belebung der City angeregt. Er wollte das Warenhaus als Marktplatz in der Innenstadt wiederbeleben, warb in Vorträgen für sichere und anziehende Innenstädte, mahnte einen Ausbau der Verkehrsinfrastruktur an und forderte mehr Freiheiten bei der umstrittenen Sonntagsöffnung. Doch letztlich wurde er alleingelassen. Und auch die Gewerkschaft Verdi ist eher durch Blockaden und Festhalten am Bisherigen aufgefallen als durch Offenheit für neue Konzepte.

Nun stehen alle Beteiligten vor einem Scherbenhaufen und fordern neue Konzepte für die Innenstädte – als wäre gerade erst aufgefallen, dass in den deutschen Städten etwas falsch läuft. Viel zu lange wurde nur über den „bösen Onlinehandel“ geklagt, aber der stationäre Handel nicht genug unterstützt.

Dabei gibt es tolle Konzepte, wie man traditionelle Händler, Onlinehändler und spannende Start-ups an einen Tisch bringen könnte, um neue Ideen für den Handel von morgen zu entwickeln. Die funktionieren aber nur da, wo sie aktiv von den Städten gefördert werden. Zusammen mit Immobilienentwicklern müssen Stadtplaner mutige Entwürfe unterstützen und bereit sein, auch mit Investitionen in Vorleistung zu gehen, um dem Handel eine Plattform zu bieten.

Vorbild Kieler Bootshafen

Ein gutes Beispiel ist die Stadt Kiel, die trotz knapper Finanzen den über Jahre vernachlässigten und völlig verrotteten alten Bootshafen südlich der Altstadt mit großem Aufwand wiederbelebt hat, statt ihn einfach zuzuschütten.

Heute öffnet er sich mit großen Freitreppen zu den benachbarten Kaufhäusern, es entstehen dort Wohnungen und Hotels. In dieser Mischung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er sich nach Abschluss der Bauarbeiten zum Magneten für die Innenstadt entwickelt und auch wieder Konsumenten zum Einkaufen in der City animiert.

Doch viele Kommunen haben die Gestaltung und Weiterentwicklung jahrelang sträflich vernachlässigt. Es wurden Baugenehmigungen erteilt für Shoppingcenter und Outlets auf der grünen Wiese, mit fatalen Folgen für die City. Dass es Geschäfte in der Innenstadt gab, wurde häufig für selbstverständlich genommen — bis die Leerstände nicht mehr zu übersehen waren.

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Allen muss klar sein: Es geht nicht um den Kampf um jede Filiale, wie jetzt markig ausgerufen wird. Es geht um ein abgestimmtes Gesamtkonzept aus Stadtplanung, Handel, Wohnen und Arbeiten. Wenn das schon vor Jahren stärker beherzigt worden wäre, wären vielleicht manche der 62 Filialen von Karstadt und Kaufhof noch zu retten gewesen. Jetzt müssen die Städte schleunigst dafür sorgen, dass nicht noch mehr verloren geht.

Mehr: Insolvenzverfahren für Galeria Karstadt Kaufhof eröffnet.

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