Kommentar: Grabrede auf die Wirtschaftsweisen


Wir nehmen heute Abschied von einer Institution, die einst eine der wichtigsten Stimmen wirtschaftlicher Vernunft in Deutschland war: dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – den sogenannten Wirtschaftsweisen.
Es gab Zeiten, da wurde dem Rat zugehört. Seine Gutachten prägten Debatten, seine Empfehlungen waren unbequem, aber einflussreich. Er war kein politischer Akteur, sondern ein unabhängiges Gremium, das helfen sollte, die Wirtschaftspolitik auf eine sachliche Grundlage zu stellen.
Heute dagegen ist der Rat nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Bedeutungsverlust kam nicht über Nacht – er war schleichend, aber stetig. Und inzwischen lässt sich kaum mehr leugnen: Der Sachverständigenrat ist politisch irrelevant geworden.
Ränkespiele, persönliche Profilierung, ausufernde Minderheitsvoten – all das hat dem Ansehen des Gremiums geschadet. Der letzte Tiefpunkt: Veronika Grimm legte zum Frühjahrsgutachten gleich drei Minderheitsvoten vor. Sie konnte oder wollte sich erneut nicht mit der Mehrheit einigen.
Solche Konflikte sind längst nicht mehr die Ausnahme, sondern vorrangig als Folge eines Streits zwischen Grimm und der Ratsvorsitzenden Monika Schnitzer zur Regel geworden. Die Bereitschaft zum Konsens ist verloren gegangen, das Vertrauen gleich mit. Statt gemeinsamer Positionen dominiert der Eindruck eines dauerhaften Streits.
Währenddessen hat die Politik schon Fakten geschaffen. Der frühere Finanzminister Christian Lindner schlug den ersten Sargnagel ein, als er den neoliberalen Ökonomen Lars Feld nach dessen Ausscheiden aus dem Rat zu seinem persönlichen Berater berief. Der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck folgte diesem Beispiel mit Simon Jäger. Der neue Finanzminister Lars Klingbeil setzt auf Jens Südekum.
Drei Berater für die Wirtschaftsministerin
Wirtschaftsministerin Katharina Reiche wiederum hat sich offenbar gleich mehrere Ökonomen an die Seite geholt: Veronika Grimm, Volker Wieland und Justus Haucap. Daneben existieren noch wissenschaftliche Beiräte in beiden Ministerien, die allerdings wirtschaftspolitisch wenig Einfluss haben.
Es stellt sich daher die Frage: Wo bleibt da eigentlich noch der Sachverständigenrat? Wer hört ihm noch zu? Und warum sollte er überhaupt noch etwas sagen, wenn längst andere Stimmen lauter und direkter in den Ministerien wirken?
Hinzu kommen auch noch Skurrilitäten. Veronika Grimm berät dann künftig die Wirtschaftsministerin und soll gleichzeitig im Sachverständigenrat Stellungnahmen zu ihrer Politik abgeben? Das sollte sich ausschließen.
Es dürfte zudem das Ansehen des Rates nicht gerade steigern, dass ausgerechnet der frühere grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck bald gemeinsam mit dem Ratsmitglied Ulrike Malmendier in Berkeley Vorlesungen hält. Das ist nicht verboten. Doch der Eindruck, dass der Rat eine rot-grüne Schieflage hat, wird dadurch verstärkt.
Natürlich gab es nie eine Zeit völliger Harmonie. Auch früher wurde diskutiert, gestritten, gerungen. Doch der Rat hatte Gewicht. Heute dagegen scheint das politische Interesse an einem fundierten, aber unabhängigen Urteil verloren gegangen zu sein.
Viel lieber suchen Ministerinnen und Minister nach Bestätigung – nicht nach Widerspruch. Man will sich nicht die politische Agenda stören lassen, sondern das eigene Narrativ untermauern. Der Sachverstand soll gefällig sein – oder er wird ersetzt, wie damals Lars Feld.

Dabei war es einmal anders. Konrad Adenauer fragte seinen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard skeptisch, ob er sich mit den von ihm etablierten Wirtschaftsweisen wirklich „eine Laus in den Pelz“ setzen wolle. Erhard wollte. Es war eine List des Zufalls, dass die produktivitätsorientierte Lohnpolitik im ersten Gutachten im Zentrum stand. Der Rat kam damit Erhards Appellen zum Maßhalten entgegen.
Jetzt ist es jedoch an der Zeit, offen über Konsequenzen zu sprechen. Auch Kanzler Friedrich Merz dürfte ökonomischen Rat einholen – nur weiß niemand so genau, wer sein Lieblingsökonom ist. Vielleicht findet sich auch niemand, der seinen Weg von der 2009 etablierten Schuldenbremse zu deren Reform und dem neuen Sondervermögen erklären kann.
Die USA könnten Vorbild sein
Der konsequenteste Schritt wäre, den Sachverständigenrat in seiner bisherigen Form zu beenden. An seine Stelle könnte ein beratendes Gremium treten, das – nach amerikanischem Vorbild – direkt beim Kanzleramt angesiedelt wäre. Die parteipolitische Einordnung der Mitglieder wäre dann klar, dafür aber auch die politische Wirkung größer. Und die Bereitschaft kluger Köpfe, dort mitzuwirken, vermutlich ebenfalls.
Denn der eigentliche Schaden liegt nicht in der Abschaffung des Rats, sondern in dessen schleichendem Bedeutungsverlust ohne echte Reform. Eine Regierung, die den ökonomischen Sachverstand braucht, sollte sich diesen aktiv ins Haus holen – statt auf ein zerstrittenes Gremium zu warten, das sich selbst im Weg steht und sich des Einflusses beraubt.





Friedrich Merz hat jetzt die Gelegenheit, neue und zeitgemäße Wege in der ökonomischen Beratung seiner Regierung zu gehen. Wenn nicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen – wann dann?
Wir verabschieden uns also heute nicht nur von einem Gremium, sondern auch von einem Anspruch. Dem Anspruch, dass ökonomische Expertise über Parteigrenzen hinaus gehört und respektiert wird. Es wäre aber gut, wenn dieser Anspruch später zu neuem Leben erweckt würde.
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