Kommentar Hin zum eigenen Webshop: Konsumgüterkonzerne haben keine Zeit mehr für langatmige Experimente

Die Konsumgüterriesen sind noch stark auf den stationären Handel angewiesen.
Düsseldorf Die Coronakrise hat das Problem schonungslos freigelegt: Um eine grundlegende Digitalisierung kommen auch die Hersteller großer Konsumgütermarken nicht herum. Im Lockdown schloss der stationäre Handel weitgehend, die Kunden zogen sich zurück in die eigenen vier Wände und orderten immer mehr Produkte übers Internet.
Eine ganzer Wirtschaftszweig ist ins Netz verlagert worden – und Unternehmen, die robuste Beziehungen übers Internet zu ihren Endkunden haben, gehören zu den Gewinnern der aktuellen Krise. Relevant ist, wer online verfügbar ist.
Viele Hersteller großer Konsumgütermarken stehen in diesem Geschäft noch weitgehend am Anfang. Ihre Abhängigkeit vom stationären Handel ist groß. Knapp 90 Prozent der Umsätze im Bereich „Personal and Beauty Care“ werden in Deutschland nach aktuellen Zahlen des Forschungsunternehmens Euromonitor im klassischen Handel gemacht.
Lediglich zehn Prozent der Umsätze sind digital, und nur ein Bruchteil dieser Digitalumsätze findet direkt zwischen Hersteller und Endverbraucher im sogenannten Direct-to-Consumer-Geschäft statt – also über eigene Webshops, der Königsdisziplin für Unternehmen.
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Es sind allerdings nicht nur Umsätze, die Unternehmen wegen der fehlenden digitalen Verbindung zum Kunden einbüßen. Es sind vor allem auch die wertvollen Einblicke in das Kauf- und Konsumverhalten, die ihnen damit entgehen. Diese Daten bleiben bislang meistens beim Handel stecken – beim klassischen Einzelhandel oder bei Onlinehändlern wie Amazon.
Nicht umsonst gibt es Datensammelunternehmen wie Payback, die genau diese Daten zusammenführen und aufbereiten. Und nicht umsonst sind Konzerne wie Amazon so erfolgreich, denn sie wissen anhand des Such- und Kaufverhaltens der Menschen genau, was ihre kommerziellen Bedürfnisse sind.
Unilever und Henkel brauchen dringend digitale Vertriebswege
Konsumgüterhersteller sollten deshalb den digitalen Vertrieb auf eigenen Kanälen zügig auf- und ausbauen. Die allgemeine Digitalisierung hat zu einer deutlichen Veränderung des Konsumverhaltens geführt, und die seit einem Jahr grassierende Coronakrise hat die Digitalbewegung befeuert.
Eine Umkehr ist nicht zu erwarten. Und Zeit für langatmige Experimente haben die Unternehmen nicht mehr. Der Kampf der Konzerne um die Schnittstelle zum Endkunden, das Interface, hat längst begonnen.
Der Weg dorthin ist lang – vor allem für Unternehmen, die in der analogen Welt beheimatet sind und Firmenstrukturen haben, die für digitale Geschäfte eher hinderlich sind. Digitalisierung ist daher vor allem auch eines: eine Frage der Unternehmenskultur. Inwieweit lassen Manager es zu, dass alte Seilschaften durchtrennt werden, dass Prozesse auf Daten und nicht mehr auf Bekanntschaften basieren?
Ein Weg führt über den Kauf kleiner, innovativer Start-ups. So hat beispielsweise der Konsumgüterkonzern Unilever („Axe“, „Dove“) das amerikanische Start-up Dollar Shave Club gekauft, das Rasierklingen im Abo anbietet. Der Konzern hat sich einiges von diesem Zukauf abgeguckt: die neuartige digitale Firmenkultur ebenso wie die veränderten Geschäftsprozesse via Internet samt umgestellter Warenwirtschaft.
Einen ähnlichen Schritt geht aktuell Henkel („Schauma“, „Persil“) mit dem Berliner Start-up Invincible Brands, das ebenfalls ausschließlich im Internet Kosmetikprodukte vertreibt.
Abo-Modelle sind auch bei Konsumgütern erfolgversprechend
Konsumgüterkonzerne müssen ihren Kunden gute Gründe bieten, damit die ihre Produkte nicht bei Amazon oder Flaconi bestellen, wo sie verschiedene Marken von unterschiedlichen Herstellern in den Warenkorb legen können. Die Differenzierung kann über originelle Produkte funktionieren, die es nur auf der Unternehmenssite zu kaufen gibt. Zum Beispiel Sondereditionen mit besonderen Düften, originellen Verpackungen oder auch neuartige Ideen für altbekannte Produkte.
So trumpfte beispielsweise ein Start-up namens Everdrop auf, als es Reinigungsmittel in Form von kleinen Tabs anbot, die mit Wasser angemischt werden. Eine kleine Revolution.
Ein smarter Weg führt über Abo-Modelle, wie das Beispiel mit den Rasierklingen zeigt. Konstrukte, die aus der Medienbranche gut bekannt sind, lassen sich auch auf die Konsumgüterbranche übertragen. Damit binden die Unternehmen ihre Kunden fester an sich – und überstehen Krisen besser.
Konsumgüterkonzerne wie Henkel und L’Oréal (Biotherm, Garnier) denken bereits über solche Abo-Modelle nach. Wichtig ist: Nicht jedes Produkt eignet sich für einen eigenen Webshop oder für ein Abo-Modell.
Die Veränderungen in der Distribution erfordern allerdings aufseiten der Produktion höhere Flexibilität. Wenn Konsumgüterkonzerne auch kleinere Mengen herstellen wollen, um entsprechende Angebote im Webshop zu machen, dann braucht es dafür auch smarte Fabriken, die zum Beispiel ihre Fertigungsstraßen schnell umstellen können.
Die Frage nach einem digitalen Vertrieb ist insofern eine ganzheitliche unternehmensstrategische Entscheidung. Aber es lohnt sich, sie zu treffen. Denn damit sind die Firmen wetterfest – für die nächste Krise, die bestimmt kommt.
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