Kommentar Im Zweifel muss die Priorität auf dem Schutz des Lebens der Schwächsten liegen

Die Krankenhäuser in Deutschland richten sich auf viele Intensivpatienten ein.
Seien wir ehrlich: Wer möchte in diesen Tagen in der Rolle eines verantwortlichen Politikers sein? Journalisten können vieles fordern – Worte sind billig. Epidemiologen können wissenschaftsbasierte Ratschläge erteilen – zu verantworten haben sie die daraus scheinbar zwangsläufig resultierenden Handlungen nicht.
Das Gleiche gilt für Ökonomen, die tagaus, tagein vor den verheerenden Folgen eines länger anhaltenden Shutdowns warnen. Und es gilt für Manager und Unternehmer, die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen und zunehmend vernehmbarer das Ende des staatlich verordneten Wachkomas fordern.
Doch zu entscheiden haben am Ende die gewählten Politiker – das ist gut so, aber es ist alles andere als einfach. Denn die Corona-infizierten Gesellschaften sind derzeit der unerbittlichen Macht des Exponentiellen ausgeliefert, die Zivilisation als Ganzes erfährt ihre eigene Zerbrechlichkeit – in einer Form, wie es vor ein paar Monaten nicht vorstellbar schien.
Es geht um Grundsatzfragen: Wie viel Schaden kann ein Gemeinwesen hinnehmen, um Menschen, meistens sind es die schwächsten, vor dem Tod zu bewahren? Wie weit dürfen freiheitliche und für die Demokratie essenzielle Grundrechte aller eingeschränkt werden, um wenige zu schützen?
Wer vorgibt zu wissen, was die richtige Antwort ist, ist ein Absolutist. Deshalb tastet auch die Politik sich vor, die Kanzlerin nennt das in ihrer unprätentiösen Art „auf Sicht fahren“. Und es ist ja wahr: Selten war der Kontrast zwischen Unwissenheit einerseits und dem Ausmaß der Folgen politischer Handlungen andererseits größer als jetzt. Selten war die Abwägung der Zielkonflikte schwieriger.
So beruhigend es ist, dass Angela Merkel im Gegensatz zu Donald Trump eine wissenschaftsbasierte Politik betreibt, so beunruhigend ist die Vorstellung, Epidemiologen würden die Richtlinien der Politik bestimmen.
Auch Wissenschaftler irren. Mehr noch: Das Bewusstsein ihrer Fehlbarkeit ist ihre eigentliche Stärke, am Ende sogar die Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt. Und selbst wenn die Forscher gesicherte Erkenntnisse hätten, wovon sie weit entfernt sind, wäre eine Absolutsetzung ihrer Positionen nicht der richtige Weg.
Priorität auf dem Schutz des Lebens
Um eine Debatte über die Zielkonflikte im Spannungsfeld zwischen humaner Gesinnung und ökonomischer Vernunft, zwischen exponentiell ansteigenden Infektionsraten und zeitweise eingeschränkten Grundrechten kommen wir nicht herum. Und sie findet ja auch längst statt.
Aber auch das ist wahr: Im Zweifel die Priorität erst mal auf den Schutz des Lebens der Schwächsten zu setzen, wie die Politik es derzeit konsequent macht, ist sicherlich nicht die schlechteste, weil die menschlichste Maxime. Denn wenn das Wichtigste aller Grundrechte, das Recht auf Leben, bei einer Minderheit durch das Verhalten der Mehrheit gefährdet ist, dann ist eine zumindest vorübergehende Einschränkung der Freiheit dieser Mehrheit nicht nur legitim, sie ist geboten.
Trotzdem gibt es unterhalb dieser Prämisse mögliche Nuancen, was die Strategie im Kampf gegen Corona angeht. Es ist durchaus legitim, darüber nachzudenken, die Einschränkungen gegebenenfalls etwas abzuschwächen, vorausgesetzt, die Kapazitäten für die medizinische Intensivbetreuung sind da. Denn langfristig gilt: Verhindern wir die Verbreitung des Virus mit allen Mitteln, werden zwar weniger Menschen krank, aber auch weniger immun. Das ist das Grunddilemma der Krisenstrategen.
Wichtig ist eine offene Debatte darüber, mit welchen Mitteln wir welche Ziele erreichen wollen. Voraussetzung dafür wiederum ist die Transparenz, vor allem auch, was die Datenbasis angeht. Testen, testen, testen – sowohl was die Infektionen als auch die Bildung von Antikörpern angeht –, das ist jetzt entscheidend. Auch der vorübergehende Einsatz des Mobile Trackings, mit dem Südkorea so große Erfolge erzielte, ist begrüßenswert.
Es geht um viele Menschenleben
Dass wir dem Staat ausgerechnet jetzt misstrauen, gleichzeitig den amerikanischen Internetgiganten immer schon alle Daten leichtfertig zur Verfügung stellen: Wer will das verstehen? Es handelt sich hier nicht um einen Probelauf des autoritären Staats, wie manche glauben. Es geht um eine Gesundheits-, eine Wirtschafts- und eine Staatskrise. Und es geht um viele Menschenleben.
Corona führt uns gerade vor Augen, dass es eine Macht geben kann, die größer ist als Wirtschaftsinteressen, größer als das Finanzkapital und auch größer als gewählte Regierungen und Autokraten.
Vieles muss derzeit dem Kampf gegen diese Macht untergeordnet werden. Das ist gerade für Demokratien ein schmerzhafter Prozess – nicht zuletzt auch deshalb, weil man die Wirtschaft nicht komplett stilllegen kann, ohne die bestehende Wirtschaftsordnung zu gefährden.
Will die Politik das Vertrauen der Menschen in diesem Prozess nicht verlieren, muss sie mehr leisten, als nur eine offene Debatte zuzulassen und zu führen. Sie muss eine Strategie präsentieren, die den Schutz der Gesundheit der Menschen garantiert, ohne die ökonomischen Grundlagen unseres Wohlstands langfristig zu gefährden.
Das ist alles andere als trivial – schon die astronomisch anmutenden Stützungsaktivitäten der Bundesregierung verdeutlichen den Ernst der Lage. Unmöglich ist es nicht. Eines aber darf man nicht vergessen: Dass Politiker weltweit Freiheitsrechte einschränken, dabei den kurzfristigen Absturz ihrer Volkswirtschaften in Kauf nehmen, um die Gesundheit der Schwächsten ihrer Gesellschaften zu schützen – es ist die humanitäre Konsequenz eines der größten zivilisatorischen Fortschritte unserer Geschichte: Das Leben jedes Einzelnen zählt.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Was für ein Linkes Gelaber
Wer sind denn die Schwächsten? Kann das bitte mal jemand definieren?
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir zukünftig wohl dauerhaft mit dem Virus leben müssen. Die Frage, die sich hier stellt ist doch nicht, wie schütze ich "die Schwachen" , sondern vielmehr, wie leben alle demnächst mit dem Virus. Und zwar so, dass es für alle ein lebenswertes Leben ist. Wir werden nicht dauerhaft vor dem Virus davonlaufen können. Also muss es einen Plan geben, wie lange die derzeitigen Maßnahmen dauern sollen bzw. wann das Ziel der Maßnahmen erreicht ist und wie die Maßnahem zurückgefahren werden. Bisher wird darüber nicht gesprochen. Warum nicht? Es sieht so aus, als habe man kein Ziel und keinen Plan.
Guten Tag,
ja, es geht um Menschenleben und um Schwache. Aber auf der anderen Seite werden jedes Jahr allein in Deutschland 100.000 Menschen getötet, die gesund sind und gerne leben möchten. Sie sind aber zu klein und zu schwach um sich zu wehren. Sie werden im Mutterleib in Stücke gerissen und weggespült. Das darf man aber nicht sagen, sonst wird man erbarmungslos nieder gemacht. Wir machen jetzt alles platt, damit ältere Herrschaften noch älter werden aber kleine Babys dürfen nicht leben.
Wenn ich lese, dass das Recht auf Leben, bei einer Minderheit durch das Verhalten der Mehrheit gefährdet ist, dann ist eine Einschränkung der Freiheit geboten. Das Leben wird nicht durch die Mehrheit gefährdet sondern ausschließlich durch Sars Covid-19.
Somit ist die im Artikel getroffene Aussage grundlegend Falsch.
Die Minderheit, ich zähle dazu, könnte geschützt werden, wenn das was bereits von Fachleuten diskutiert wurde, dass nur die Minderheit zuhause bleibt, zu bestimmten Zeiten nur diese Minderheit einkaufen darf und mit richtigen klinischen Schutzmasken versorgt würde, wäre ein deutlich besserer Schutz als momentan gegeben, und das ohne, dass die Mehrheit ihrer Grundrechte beraubt werden muss. Hier spricht man von Verhältnismäßigkeit
Es gibt Länder wie Schweden oder Taiwan die gehen einen ganz andern Weg ohne dass dort die Politiker und Ärzte Gewissenlos wären.
Der schwedische Staatsepidemiologe Tegnell ist sicher nicht inkompetenter wie vom RKI, Herr Prof. Dr. Lothar H. Wieler seines Zeichen (Tierarzt/Veterinärmedizin) Habilitation: (Fach: Infektionskrankheiten und Hygiene der Tiere; Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen).
Die Restliche Welt hat Virologen die eine Ausbildung haben, die sich mit Viren die Menschen befallen befasst. Wir leisten uns einen Veterinärmediziner. Zu wem soll ich mehr Vertrauen haben?? Für mich ist der Fall klar.
@P.H. Langer, wenn Sie sich zuhause abschotten (könnten oder wollten),wären Sie auch keinem Virus ausgesetzt. Sobald Sie rausgehen zum einkaufen, arbeiten ‚leben‘ sind Sie aber auch Verkehr oder passivem rauchen ausgesetzt. Es ist eben nicht so, dass man eine Wahl hat. Aber, und das war ja mein Punkt, wir haben uns langsam an diese Abwägungen gewöhnt und akzeptieren diese. Die neue, plötzliche und noch nicht einzuschätzende Gefahr durch das Virus sind wir noch nicht bereit abzuwägen; wird jedoch kommen.
@Wolfgang Strehle,
hier liegen Sie falsch:
es ist schon ein Unterschied, ob ich einem Virus hilflos ausgeliefert bin und nur auf die Unterstützung der Regierung hoffen kann, oder ob ich mich wagemutig ins Verkehrsgetümmel stürze oder eine Zigarette anzünde.
Abwägungen verbieten sich im ersteren Fall von vorneherein.
@Wolfgang Strehle,
hier liegen Sie falsch:
es ist schon ein Unterschied, ob ich einem Virus hilflos ausgeliefert bin und nur auf die Unterstützung der Regierung hoffen kann, oder ob ich mich wagemutig ins Verkehrsgetümmel stürze oder eine Zigarette anzünde.
Abwägungen verbieten sich im ersteren Fall von vorneherein.
Was mir in der veröffentlichten Meinung (und auch in diesem Beitrag zu kurz kommt), wir sollten auch zwischen Leben und Leben abwägen - Entscheidungen werden in dieser Hinsicht bereits getroffen, aber geht diesen Entscheidungen auch ein Abwägungsprozess voraus? Derzeit wird nach meinem Eindruck, dem Schutz vor Corona und dem Schutz mit Corona Infizierter nahezu alles untergeordnet. Auf der Strecke bleibt dabei nicht nur zweifelsfrei unsere Wirtschaft, sondern auch jeder Erkrankte, der kein Corona hat. Aber auch Schlaganfall-Patienten haben Anspruch auf ärztliche Behandlung. Die aus der Fokussierung auf Corona resultierenden Folgen scheinen in der Diskussion bisher noch keine Rolle zu spielen.
Wir wägen schon bisher dauernd ab zwischen Freiheit, Wohlstand und Schutz des Lebens- und oft nicht mit Priorität auf den Schutz des Lebens. Denken Sie an Autobahnen/Verkehr, Schadstoffemissionen, Alkohol, Tabak etc. Vom Leben außerhalb unseres Landes mal ganz abgesehen. Das neue an der Coronakrise ist die Geschwindigkeit, die Größe und die Ungewissheit. Daher sind wir unvorbereitet und sammeln uns gerade um besser zu verstehen was wir tun sollen und wollen. Klar ist, dass es auch in dieser Krise zu einer Abwägung zwischen dem einzelnen Leben einerseits und dem streben nach Freiheit und Wohlstand kommen wird und muss. Ein paar Wochen um sich zu sammeln und beraten sowie für Vorbereitungen sind ok, dann muss und wird es weitergehen.