Kommentar Inflation ist das falsche Wahlkampfthema

Ein elektronisches Preisschild in einem Supermarkt in Düsseldorf.
Die Inflation in Deutschland und dem Euro-Raum ist im Juni laut ersten Schätzungen leicht gesunken. Davon sollte sich niemand täuschen lassen. In der zweiten Jahreshälfte wird sie weiter steigen und voraussichtlich um die Bundestagswahl herum ihren Höhepunkt erreichen.
Politiker wittern bereits ein Wahlkampfthema. So beklagte sich jüngst der bayerische Finanzminister Albert Füracker in der „Bild“-Zeitung, dass Sparer angeblich enteignet würden und dies in Kombination mit der nun steigenden Inflation immer spürbarer werde. Die Verlockung, solche Bemerkungen auszusprechen, ist groß angesichts der in Deutschland besonders ausgeprägten Inflationssorgen. Dennoch sollten sich die politischen Parteien davor hüten, das Thema Inflation in den Wahlkampf zu ziehen.
Aus guten Gründen hat sich Europa wie die USA und andere Industrieländer dazu entschieden, Geldpolitik und Inflation nicht nach Wahlzyklen zu steuern und sie unabhängigen Notenbanken zu überlassen. Dass sich diese Praxis bewährt hat, zeigt ein Vergleich mit Ländern, wo dieser Grundsatz missachtet wird, wie derzeit zum Beispiel der Türkei. Die Inflation kann dann aber auch direkt vor Wahlen hochschießen, ohne dass die Europäische Zentralbank sofort geldpolitisch reagiert.
Ob und in welchem Umfang sie das tun sollte, hängt davon ab, ob der Inflationsanstieg temporär oder langfristig ist. Nach wie vor spricht viel dafür, dass er derzeit vor allem auf Sonderfaktoren zurückzuführen ist. Zum Beispiel macht sich in Deutschland als größtem Euro-Land in der zweiten Jahreshälfte bemerkbar, dass die Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr ab Juli zeitweise gesenkt wurde. Dadurch fallen die Preise nun im Vergleich mit den niedrigen Vorjahreswerten entsprechend höher aus.
Ölpreis als Preistreiber
Ein weiterer Preistreiber ist derzeit der Ölpreis. Der aktuelle Anstieg hängt vor allem damit zusammen, dass der Ölpreis zu Beginn der Pandemie abgestürzt ist. Er dürfte sich kaum im bisherigen Tempo fortsetzen. Auch die Lieferengpässe, die die Preise für Vorprodukte wie Halbleiter, Holz oder Plastik treiben, sollten irgendwann behoben sein. All das spricht dafür, dass der Preisanstieg vorübergehend ist.
Natürlich kann auch ein kurzfristiger Inflationsanstieg längerfristig nachwirken: Wenn Unternehmen höhere Preise für Energie und Rohstoffe an ihre Kunden weiterreichen und Tarifpartner höhere Löhne vereinbaren. Genau dafür gibt es aber bisher keine Anzeichen, wie die jüngsten Tarifabschlüsse zum Beispiel in der Metallindustrie zeigen.
Viele Ökonomen führen die sehr niedrigen Inflationsraten in den vergangenen 20 Jahren auf strukturelle Trends wie die Globalisierung, Digitalisierung und die Alterung der Bevölkerung zurück. An ihnen hat sich durch die Krise nicht abrupt etwas geändert. Wenn die Inflation trotz all der Gegenargumente dennoch stärker steigen sollte, hat die EZB zudem seit Langem erprobte Mittel, um sie wieder zu drücken. Für Inflationspanik gibt es daher keinen Anlass.
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