Kommentar Investoren sollten die Euphorie um die App-Supermärkte zügeln

Der App-Lieferdienst hat so schnell die Milliardenbewertung erreicht wie kein anderes europäisches Start-up zuvor.
Kurz vor Beginn der Coronapandemie schien das Thema E-Commerce in Deutschland aus Sicht der Risikokapitalgeber weitgehend durch zu sein. Viele Investoren winkten müde ab, wenn es um neue Ideen für den Onlinehandel ging.
Die aussichtsreichen Kategorien wie Unterhaltungselektronik und Medien schienen verteilt. Andere Bereiche hatten sich als wenig lukrativ erwiesen – vor allem Lebensmittel. Verderbliche Ware und die Konkurrenz durch fußläufig erreichbare Supermärkte ließen kaum Raum für Onlineanbieter.
Das Bild hat sich mittlerweile radikal geändert. Der superschnelle App-Lieferdienst Gorillas hat so schnell die Milliardenbewertung erreicht wie kein anderes europäisches Start-up zuvor. In ähnlich hohem Tempo finanzieren andere Investoren den Konkurrenten Flink. Selbst Edeka hat für seinen ungeliebten Onlineshop Bringmeister einen Käufer gefunden.
Auslöser der Entwicklung ist allerdings nicht die Pandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen. Sie beschleunigt lediglich eine bestehende Entwicklung. Neben dem technischen Fortschritt wird der Boom durch eine wahre Geldschwemme beim Risikokapital ausgelöst.
Anders als zu Beginn der Pandemie befürchtet, trocknen die Fonds nicht aus – im Gegenteil. Das führt dazu, dass die Investoren Geld für Modelle aufbringen können, die sehr viel Anlaufinvestitionen erfordern. Die hohe Bewertung von Gorillas etwa steht bislang nur auf dem Papier. Real bedeutet sie: Die Investoren verfeuern viel Geld in den Aufbau von Infrastruktur und Marke. Sie spekulieren darauf, dass sich das in einigen Jahren auszahlt.
In der Logik der Start-up-Welt heißt das nicht unbedingt, dass die frühen Geldgeber in einigen Jahren operative Gewinne aus dem Geschäft erwarten. Es bedeutet lediglich, dass sie glauben, mit der Wachstumsgeschichte spätere Investoren überzeugen zu können. Das mögen Konkurrenten sein, die das Start-up übernehmen. Das kann aber auch ein Börsengang sein.
Doch mit der Größe der Wetten steigt das Risiko. Der missglückte Börsengang von Deliveroo Ende März in London zeigt, dass Anleger allzu aufgeblähte Bewertungen für nicht profitable Unternehmen auch in Zeiten wie diesen nicht akzeptieren. Die Aktie des Bringdienstes notiert deutlich unter dem Ausgabekurs.
Das ist eine Mahnung für die Risikokapitalgeber: Schließlich sind Essenslieferdienste wie Deliveroo ein Vorbild für das neue Geschäftsmodell. Die Investoren sollten ihre Euphorie zügeln. Sonst verheben sich die jungen App-Supermärkte an zu schneller und damit zu teurer Expansion. Wer beim Wettrennen zu schnell ist, fliegt aus der Kurve.
Mehr: Diese Modelle wetteifern um den Online-Supermarkt der Zukunft
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.