Kommentar: Krise auf Lesbos: Die Politik sollte sich die Wirtschaft zum Vorbild nehmen

Eine Frau hält auf einer Kundgebung gegen die deutsche Flüchtlingspolitik ein Schild in die Höhe.
Die Pressemitteilung von Volkswagen und Siemens ist nur fünf Absätze lang. Fünf Absätze mit einer klaren Botschaft: „In dieser Situation sehen wir es als unsere humanitäre Verantwortung an, den verzweifelten Menschen, den Erwachsenen und vielen Kindern, schnell und unbürokratisch zu helfen“, erklären VW-Chef Herbert Diess und Siemens-Boss Joe Kaeser zur Fünf-Millionen-Euro-Soforthilfe für die Menschen aus dem abgebrannten Flüchtlingslager auf Lesbos. Das Deutsche Rote Kreuz lobt die Spende der beiden Unternehmen als ein „großartiges Beispiel für Hilfsbereitschaft, Mitmenschlichkeit und praktische Solidarität“.
Die Politik sollte sich die Wirtschaft zum Vorbild nehmen. Was die mehr als 13.000 obdachlosen Flüchtlinge auf Lesbos jetzt brauchen, sind schnelle, unbürokratische und pragmatische Entscheidungen. Für die Menschen, die vielfach ihre gesamten Habseligkeiten verloren haben, zählt jeder Tag. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Situation auf Lesbos eskaliert.
Doch statt Entschlossenheit regiert in den europäischen Hauptstädten Kleinstaaterei. Von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kommt gerade einmal die Zusage, etwa 400 minderjährige Flüchtlinge auf mehrere EU-Länder zu verteilen. Innenminister Horst Seehofer erklärte, man werde bis zu 150 unbegleitete Minderjährige nach Deutschland holen.
Zwar beteiligen sich mittlerweile mehrere europäische Länder an der Hilfsaktion. Doch in einigen EU-Staaten gibt es massiven Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. So haben Österreich und die Niederlande angekündigt, niemanden aus dem abgebrannten Flüchtlingscamp aufzunehmen.
Moria steht exemplarisch für das Scheitern Europas
Ende September will die EU-Kommission Vorschläge für eine neue europäische Asylpolitik unterbreiten. Auf der Tagesordnung stehen alte Themen: Abkommen mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge sowie ein robustes System für den Schutz der europäischen Außengrenzen. Doch angesichts der weiter bestehenden Differenzen ist es kaum wahrscheinlich, dass sich Europa jetzt auf eine gemeinsame Lösung verständigt.



Fünf Jahre sind seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise vergangen. Fünf Jahre, in denen sich Europa als wiederholt handlungsunfähig gezeigt hat. Das Flüchtlingscamp Moria steht exemplarisch für das Scheitern Europas.
Es müsste im Interesse der Bundeskanzlerin sein, an diesem beklagenswerten Zustand etwas zu ändern und die Defizite der europäischen Flüchtlingspolitik während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft abzuräumen. Doch die Hoffnung ist gering, dass Merkel der Durchbruch gelingt.





