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Kommentar Politiker drücken sich vor einem Corona-Ausstiegsplan – und überlassen das Feld Querdenkern

Selbst das liberale Lager ist erstaunlich sprachlos. Ein Anfang wäre gemacht, wenn es Kriterien gäbe, bei denen wir ein Leben ohne Einschränkungen führen können.
07.09.2021 - 04:04 Uhr Kommentieren
In Deutschland haben etwas mehr als 60 Prozent der Bürger und damit mehr als 50 Millionen Menschen den vollen Impfschutz. Quelle: dpa
Menschen stehen für ihre Imfpung an

In Deutschland haben etwas mehr als 60 Prozent der Bürger und damit mehr als 50 Millionen Menschen den vollen Impfschutz.

(Foto: dpa)

Die Freiheit hat in Deutschland gerade einen schweren Stand. So ist das Wort häufiger auf den Querdenker-Demo-Pappschildern zu lesen als auf den FDP-Wahlplakaten mit Christian Lindner. Auch die Tatsache, dass die lautesten Fürsprecher Impf- und Maskengegner sind, die das Wort Freiheit gern mit Verantwortungslosigkeit verwechseln, zeigt, wie ernst es um den Begriff steht.

Schließlich gibt es den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der vor einem Millionenpublikum im TV-Triell den Mund verzieht, als er nach einem Freiheitstag in Deutschland gefragt wird, den England im Juli vollzog – und damit alle Corona-Maßnahmen aufhob. Das sei „kein Akt der Zelebration“, sagte er und schüttelte den Kopf. Damit war die Frage einfach weggewischt, die das ganze Land nach eineinhalb Jahren Pandemie so sehr interessiert wie kaum etwas anderes: Wann kehrt das Land zurück zur Normalität, zurück zur Freiheit?

Es stimmt ja: die Fallzahlen steigen, das Impftempo nimmt ab, und der geistige Vater des „Freiheitstags“, Boris Johnson, ist nun wahrlich kein Vorbild für eine gute Corona-Politik. Aber all das ist noch lange kein Grund, der Bevölkerung ein konkretes Ausstiegsszenario zu verwehren – oder nicht zumindest laut darüber nachzudenken.

Laschet hat wie alle anderen in den vorderen politischen Reihen darauf bislang keine überzeugende Antwort – oder drückt sich davor, sie auszusprechen. Die FDP pocht immerhin hörbar auf eine Aufhebung der meisten Einschränkungen und verweist auf die Grundrechte. Zu einem Freiheitstag wagten sich mit der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp allerdings nur wenige aus der Deckung.

Es ist traurige Wahrheit, dass die Freiheit in diesem Land für manche offenbar zu einem Schmuddelwort geworden ist. Und dass Teile des liberal-bürgerlichen Lagers die zentrale Frage nach dem Weg zurück zur Normalität irren Querdenkern überlassen, die sie genauso irre beantworten.

Dass es keinen Lockdown mehr geben soll, ist zu wenig

Natürlich geht es nicht darum, alle Maßnahmen sofort fallen zu lassen. Dies wäre nicht nur für die jüngere Bevölkerung ein unkalkulierbares Risiko, die ungeschützt dem Virus ausgesetzt wäre, weil für sie noch kein Impfstoff zugelassen ist. Vermutlich werden wir noch einige Zeit mit basalen Hygienemaßnahmen leben. Auch die Appelle und Maßnahmen, die Impfquote zu steigern, sind vor diesem Hintergrund legitim.

Wer sich aus freien Stücken nicht impfen lässt, gefährdet jene, die sich nicht impfen lassen können. Das ist verantwortungslos – und auch das widerspricht dem Freiheitsbegriff. Es geht auch nicht darum, ein konkretes Datum zu nennen wie Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der am liebsten schon Anfang Oktober auf alle Maßnahmen verzichten würde. Dafür ist der Verlauf des Herbsts und Winters zu unvorhersehbar.

Ein Anfang wäre allerdings eine Antwort auf die Frage, nach welchen Kriterien die Bevölkerung wieder ein Leben ohne Einschränkungen führen kann. Als Zielmarke steht eine Impfquote von deutlich über 80 Prozent im Raum. Aber wann kann sie erreicht werden? Und was, wenn das so schnell nicht gelingt, worauf das abflauende Impftempo hindeutet? Was, wenn die Appelle und Einschränkungen wie die 2-G- und 3-G-Regel nicht ziehen? Ist ein Freiheitstag dann Utopie – oder sollen andere Zielvorgaben her? Beispielsweise, dass alle Menschen ein Impfangebot hatten? All diese Fragen fehlen auf der Agenda.

Stattdessen begnügt man sich mit dem mantrahaften Versprechen, dass es einen Lockdown nicht mehr geben wird. Darauf zahlt das neue Infektionsschutzgesetz mit dem Wegfall der Inzidenzen als Maßstab ja auch tatsächlich ein, wie es am Dienstag im Bundestag beschlossen werden soll. Einige würden deswegen auch einwenden, dass zumindest Geimpfte keine Maßnahmen mehr zu befürchten hätten.

Die kleinen Wörtchen „Stand jetzt“ müssen sie aber im Hinterkopf behalten, sollte sich beispielsweise eine gefährlichere Virusvariante durchsetzen. Und immer noch sind Einrichtungen wie Klubs geschlossen, andere müssen Maßnahmen wie Abstands- und Hygienekonzepte umsetzen.

Und, ja, zur Freiheit gehört es auch, dass Menschen ohne Nachweise irgendwann wieder in Restaurants und andere Einrichtungen dürfen, sich immer und überall wieder ins Gesicht schauen können, dass sie sich wieder lächeln sehen, sich wieder umarmen können, dicht an dicht miteinander tanzen dürfen, sogar in geschlossenen Räumen – und Schule wieder ohne Quarantäneregeln möglich ist. Ob geimpft oder ungeimpft darf auf lange Sicht dabei keinen Unterschied mehr machen. Das sind keine Fantasien, das ist das Leben, das die Menschen wieder führen wollen.

Mehr: Ende der Corona-Maßnahmen – Das sagen Experten zum deutschen „Freiheitstag“

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