Kommentar Pyrrhussieg für Facebook: Die Offensive der Kartellwächter kommt noch

Der Technologiekonzern siegt vor Gericht, ist aber noch nicht aus dem Schneider.
Vor Gericht zählt nicht, was der Zeitgeist für Recht erachtet, sondern nur, was bewiesen werden kann. In keinem Bereich der Wirtschaft trifft das mehr zu als im Wettbewerbsrecht. Dass ein Bundesrichter in Washington jetzt die Kartellklagen der US-Regierung und von 46 Bundesstaaten gegen Facebook erst mal zurückgewiesen hat, zeigt, wie weit und steinig der Weg ist, die Marktmacht der großen Technologiekonzerne zu begrenzen.
Facebook hat eine Schlacht gewonnen, der Jubel der Börsianer, die den Marktwert des Social-Media-Giganten kurz nach dem Richterspruch über die Marke von einer Billion Dollar drückten, kommt jedoch zu früh. Gut möglich, dass sich Facebooks Erfolg noch als Pyrrhussieg erweisen wird.
Zeigt das Urteil doch, dass die Wettbewerbshüter ihre „Waffen“ schärfen müssen, um „Big Tech“ beizukommen. Politiker und Kartellwächter in den USA und in Europa werden sich deshalb bestätigt und angespornt fühlen, das Wettbewerbsrecht den neuen Risiken der Digitalwirtschaft anzupassen.
Im US-Repräsentantenhaus liegen bereits sechs Gesetzesinitiativen vor, um die mehr als 100 Jahre alten Kartellgesetze Amerikas zu reformieren. Und auch im Senat basteln Demokraten und Republikaner in seltener Einmütigkeit daran, die Marktmacht von Facebook, Google und Co. einzuhegen.
Hinzu kommt, dass mit der erst 32-jährigen Lina Khan eine ausgewiesene Kritikerin von „Big Tech“ den Vorsitz der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC übernimmt. An Khan ist es nun, innerhalb von 30 Tagen die Kartellklage mit Beweisen zu unterfüttern, die der zuständige Richter James E. Boasberg bislang vermisst.
Stumpfe Waffen gegen die Übernahmen von Instagram und Whatsapp
Dass es den US-Wettbewerbshütern gelingt, Facebooks umstrittene Aufkäufe von Instagram 2012 und Whatsapp 2014 rückabzuwickeln, ist unwahrscheinlich. Die Kartellwächter haben damals geschlafen und ihre Fehler lassen sich nur schwerlich durch eine nachträgliche Zerschlagung noch ausbügeln.
US-Gericht weist Wettbewerbsklage gegen Facebook ab
Tatsächlich hat es sich die FTC mit ihrer noch unter der Trump-Administration eingebrachten Kartellklage zu einfach gemacht. Der bloße Hinweis auf die Größe Facebooks, seine hohen Marktanteile bei sozialen Medien und im digitalen Werbemarkt sowie auf Mark Zuckerbergs legendären Spruch, er wolle lieber Konkurrenten aufkaufen als mit ihnen zu wetteifern, reicht für gravierende Eingriffe des Staates bis hin zur Abspaltung von Unternehmensteilen nicht aus.
Vielmehr müssen die Kartellwächter belegen, dass Zuckerberg die Marktmacht seines Konzerns missbraucht, um Kunden und Konkurrenten über den Tisch zu ziehen. In den USA ist die Hürde dafür höher als in Europa, weil dort das Wohl der Konsumenten Vorrang vor Kartellbeschwerden von Wettbewerbern hat.
Angesichts beliebter Technologien zum Nulltarif ist der Missbrauchsvorwurf nicht so leicht zu belegen. Erst langsam setzt sich auch in den USA die Erkenntnis durch, dass die privaten Daten der wahre Preis sind, den die Verbraucher im digitalen Zeitalter zahlen müssen.
Bundeskartellamt kämpft sich durch den Verfahrensweg
Obwohl die europäischen Kartellwächter das Missbrauchspotenzial von Big Data für den Wettbewerb schon länger erkannt haben, sind auch sie vor Rückschlägen im Ringen mit „Big Tech“ nicht gefeit. Das Bundeskartellamt hat Facebook schon 2019 verboten, seine Marktmacht auszunutzen, um die Nutzerdaten von Facebook, Instagram und Whatsapp miteinander ungefragt zu verschmelzen.
Das Verfahren dazu läuft immer noch und liegt inzwischen beim Europäischen Gerichtshof. Dass der EuGH zudem den Versuch der EU-Kommission zurückgepfiffen hat, die Steuertricks von Apple und Amazon zu unterbinden, zeigt, auch den Europäern passieren handwerkliche Fehler.
Damit durch lange Verfahrenswege keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, hat die Bundesregierung den Kartellwächtern einen neuen Hebel in die Hand gegeben: Der neue Paragraf 19a im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gibt ihnen das Recht, große Internetplattformen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ enger an die Kette zu legen und Verfahrenswege abzukürzen. Die EU verfolgt mit ihrem „Digital Markets Act“ den gleichen Gedanken und will das Verhalten von sogenannten „Gatekeepern“ streng kontrollieren.
Aber auch hier wird es nur dann Eingriffe geben, die vor Gericht Bestand haben, wenn die Kartellwächter die Risiken von Firmenübernahmen und den Missbrauch von Marktmacht nachweisen können. Kartellamtschef Andreas Mundt hat dafür bereits die nächste Front mit den Tech-Riesen eröffnet und verlangt mehr Einblick in ihre am besten gehüteten Geheimnisse – ihre Algorithmen.
Kartellwächter wollen Einblick in die Algorithmen
Hier die richtige Balance zu finden zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums, der ja auch Voraussetzung für Innovationen ist, und dem öffentlichen Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb, ist die eigentliche Herkulesaufgabe der Kartellwächter in der Digitalwirtschaft.
Helfen kann dabei der neue Technologierat, in dem sich Europäer und Amerikaner auch über eine bessere Wettbewerbskontrolle der Tech-Konzerne austauschen wollen. Auch wenn wir von globalen Kartellregeln noch weit entfernt sind, eine transatlantische Annäherung nützt beiden Seiten.
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