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Kommentar Schluss mit dem Fiskal-Fetischismus in Deutschland!

Die Bundesrepublik hat sich zwar aus dem Gedankengefängnis der „schwarzen Null“ befreit. Nun driftet die neue Schuldendebatte aber auf gefährliches Territorium ab.
04.02.2021 - 04:00 Uhr 2 Kommentare
Quelle: Burkhard Mohr
Karikatur
(Foto: Burkhard Mohr)

Der Jahreswirtschaftsbericht ist das ökonomische Glaubensbekenntnis einer Bundesregierung. Unter dieses Glaubensbekenntnis fällt die Schuldenbremse nach Ansicht der Bundeskanzlerin neuerdings nicht mehr. Ausgerechnet das Bundeskanzleramt hat den Satz, die Regierung plane, 2022 die Schuldenbremse wieder einzuhalten, im jüngsten Bericht gestrichen.

Die Anekdote erzählt viel darüber, wie sehr die Maßstäbe in der deutschen Schuldendebatte verrückt sind. Jahrelang verlief die Diskussion entlang einer einzigen Richtschnur: der „schwarzen Null“.

Jetzt stellt die eigene Kanzlerin eine der letzten Grundüberzeugungen der Union infrage. Das ist gut so. Deutschland hat sich endlich aus seinem gedanklichen Gefängnis befreit und die global längst laufende Debatte über die Rolle des Staates im 21. Jahrhundert angenommen. Weniger gut ist nur, in welche Richtung die Diskussion läuft.

Im vermeintlichen Glauben, sich abzugrenzen, verschanzen sich Linke wie Konservative doch wieder nur in eng verlaufenden Schützengräben, aus denen die Sicht auf einen echten Zukunftsplan in der Haushalts- und Finanzpolitik versperrt ist. Lange galt die „schwarze Null“, der ausgeglichene Haushalt, als Fetisch. Jetzt trägt jede Partei einen eigenen Fiskal-Fetisch wie eine Monstranz vor sich her.

Die FDP etwa will die Schuldenbremse verschärfen und gleichzeitig auf breiter Front Steuern senken. Irgendjemand sollte der FDP beibringen, dass auch die Steuerwelt keine Scheibe ist und sie im eigenen Interesse nicht die Fehler von 2009 wiederholen sollte. In der Union hat der Vorstoß von Kanzleramtschef Helge Braun, die Schuldenbremse zu lockern, zu der Wagenburg-Mentalität geführt: „Schuldenbremse? Jetzt erst recht!“

Die SPD ist da zwar weiter, fällt dafür aber in eine „Anything goes“-Finanzpolitik der 70er-Jahre zurück. Sie ersinnt riesige staatliche Investitionsprogramme vorbei an der Schuldenbremse, als ob der Staat in einer Marktwirtschaft die treibende Kraft hinter Investitionen wäre und nicht die Privatwirtschaft. Und als ob das Grundgesetz, da steht die Schuldenbremse nun mal drin, nichts wert wäre.

Die Schuldenbremse ist keine Sozialkostenbremse

Jeder Vorschlag für Ausgabenkürzungen wird zugleich als „Axt anlegen am Sozialstaat“ diffamiert, gleich so, als ob der Staat Geld nur für sinnvolle Dinge ausgibt. Mütterrente, Baukindergeld und Rente mit 63 zeugen aber vom Gegenteil und haben die Staatsausgaben bereits auf ein hohes Niveau getrieben. Trotz Schuldenbremse übrigens. Denn die ist genauso wenig eine Investitionsbremse, wie sie je eine Sozialkostenbremse war.

Wenn nun danach gerufen wird, der Staat müsse wegen der Coronakrise die Steuern erhöhen, sollten die Bürger das Flehen nicht erhören. Die Pandemie dient hier nur als billiger Vorwand. Nicht die Ausgaben zur Krisenbekämpfung sind das Problem, sondern die strukturellen Mehrausgaben der Koalition.

Anstatt einen Wettkampf auszutragen, wer die Schuldenbremse am härtesten auslegt und wer die größten Investitionsprogramme auflegt, sollte die Debatte langsam mal ernsthafter geführt werden.

Kurzfristig müssen zwei Erkenntnisse reifen. Erstens: Die Corona-Schulden sind kein Problem, weshalb wegen der Krise weder Steuererhöhungen notwendig sind noch Ausgaben gestrichen werden sollten, die der Konjunktur oder besonders von der Pandemie betroffenen Bevölkerungsgruppen schaden.

Zweitens: Wenn dies gilt, wird die Schuldenbremse 2022 kaum einzuhalten sein. Weshalb entweder noch einmal die Notfalloption gezogen werden oder die Schuldenbremse neu kalibriert werden muss, wodurch das Zurückfahren der Corona-Sonderausgaben in den nächsten Jahren deutlich einfacher wäre. Wahrscheinlich geht das sogar ganz ohne Grundgesetzänderung.

Deutschland braucht ein besseres Steuersystem

Der schwierige Part kommt dann aber erst: die Strukturreformen. Deutschland braucht höhere Investitionen und gleichzeitig ein besseres Steuersystem. Das eine bedeutet Mehrausgaben, das andere Mindereinnahmen. Anstatt auf einem Auge blind zu sein, muss eine neue Regierung Einnahmen und Ausgaben in den Blick nehmen.

Von der FDP bis zur Linken sind sich ja alle einig: Untere Einkommen müssen entlastet werden, und der Spitzensteuersatz sollte erst ab höheren Einkommen greifen. Auch Firmen brauchen Entlastungen. Da das viel Geld kostet, könnten im Gegenzug Spitzensteuersatz und Erbschaftsteuer steigen. Letzteres halten selbst konservative Ökonomen wie Clemens Fuest oder Lars Feld für geboten.

Gleichzeitig muss der Staat an die Ausgaben ran. Alle Sozialausgaben und Förderprogramme gehören auf den Prüfstand, insbesondere klimaschädliche Subventionen und die Flut an absurden Steuervergünstigungen. Und die Digitalisierung bietet auch noch einiges an Sparpotenzial im Staatssektor.

Das alles sind keine einfachen, teils sogar schmerzliche Schritte. Aber den Klimawandel bekämpfen, Deutschland aus dem Status eines digitalen Entwicklungslandes herausholen und dabei die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig halten, das wird jedenfalls mit den alten Rezepten nicht gelingen.

Mehr: Kanzleramt will Schuldenbremse jahrelang aussetzen

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2 Kommentare zu "Kommentar: Schluss mit dem Fiskal-Fetischismus in Deutschland!"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Der Autor verkennt m.E., dass sich Politiker in diesem System NIEMALS selbst beschränken werden.
    Man kann die Schuldenbremse sicher auch kritisieren, aber sie hat dem Schuldenmachen wenigstens ein wenig Einhalt geboten. Die nächste Generation soll schon den demographischen Wandel finanzieren und nun noch diesen unfassbaren Billionen-Schaden aus den Corona-Maßnahmen.
    Ohne eine Art von Beschränkungen wird das Schuldenmachen immer größere Dimensionen annehmen.
    M.E. ist dieses Politik-/ Gesellschaftssystem eh nicht zu halten. In 71 Jahren Bundesrepublik 66 mal mehr Geld ausgegeben als eingenommen, das ist einfach kein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell.
    Und die FDP ist in diesen Zeiten leider ein Totalausfall.

  • Steuererhöhungen im Land mit der höchsten Abgaben- und Steuerquote? Wie sagte eine Frau M. auf diese Frage: "Wir wollen doch noch ein paar Unternehmen bei uns behalten."

    Dazu noch die Erbschaftsteuer erhöhen? Diese Steuer ist in Großteilen der Welt völlig unbekannt! Selbst in den Staaten Europas ist diese Steuer für Ehepartner und Kinder unbekannt. Der Deutsche Mittelstand wird selbst über den Tod hinaus geschröpft und das europäische Ausland lacht über die Deutschen Steuerzahler! Österreich erkannte die volkswirtschaftliche Kontraprdouktivität dieser Steuer und schuf sie 2008 wieder ab.

    Auch die Unternehmenssteuern sind im internationalen Vergleich zu hoch. Dazu noch die höchsten Sozialabgaben und die höchsten Lohnkosten sind Gift für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

    Deutschland hat mehr als genug Steuereinnahmen. Das Problem sind die Ausgaben und die Verwendung der Steuergelder.

    14 Milliarden fließen "netto" in die EU. Mehr als doppelt so viel wie von Italien und Frankreich!

    Von den Kosten für unsere Neubürger finden sich keine detaillierten Zahlen. Diese werden geschickt in den unterschiedlichen Haushaltsposten versteckt. Prof. Sinn kalkulierte 450.000.- Euro pro Neubürger. Bei 2 Millionen Neubürgern ist es eine einfache Rechnung. Kindergeldzahlungen für Kinder von Ausländern im Ausland? Im welch anderem Staat dieser Erde gibt es so viele Geschenke des Staates an Ausländer ohne jegliche Gegenleistung?

    Die Beispiele für die Verschwendung der Deutschen Steuergelder würde den Rahmen hier sprengen. Deutschland hat kein Einnahmenproblem. Das Problem sind die Ausgaben! Weitere Erhöhungen der ohnehin schon höchsten Steuern- und Abgabenquote treibt immer mehr Untenehmer, Fachkräfte und Kapital in das Ausland. Diese können im Gegensatz zu unseren Politikern nämlich rechnen und alle demokratischen Länder dieser Erde haben eine geringere Steuern- und Abgabenquote als Deutschland!

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