Kommentar: Sein schlechtes Corona-Management erhöht den Druck auf Johnson, sich mit der EU zu einigen

Der britische Premierminister hat die schlechteste Krisenbilanz in Europa zu verantworten.
Schlimmer hätte es für das Vereinigte Königreich kaum kommen können. Es verzeichnet nicht nur die höchste Zahl der Corona-Opfer in Europa – auch nachdem die offizielle Statistik diese Woche von 46.000 auf 41.000 nach unten korrigiert worden ist. Obendrein hat das Land im zweiten Quartal auch den schwersten Konjunktureinbruch erlitten. Nun steht es da wie der kranke Mann Europas.
Der Grund, warum dieser Einbruch doppelt so hoch ausfiel wie in Deutschland oder den USA, hat einen Namen: Boris Johnson. Seine Entscheidung, den Lockdown hinauszuzögern, führte dazu, dass er am Ende länger dauerte und die Briten stärker verunsicherte.
Der Premierminister, der gern die „Weltklasse“ britischer Unternehmen, Sportler und Wissenschaftler preist, muss zur Kenntnis nehmen: Eine Weltklasseregierung hat das Land jedenfalls nicht. Zu Johnsons Verteidigung ist zu sagen, dass er nicht im Alleingang gehandelt hat. Das gesamte britische Establishment steht am Pranger.
Die Entschuldigung von Finanzminister Rishi Sunak, dass es kein Handbuch für diese Krise gebe, ist eine schwache Ausrede. Das haben andere Regierungen auch nicht, und sie haben es trotzdem besser hinbekommen.
Das Bild kann sich natürlich schnell ändern. Hoffnung gibt Johnson, dass die britische Wirtschaft seit Mai schon wieder wächst. Bis zum Jahresende werden sich die wirtschaftliche Entwicklung der Insel und die des europäischen Festlands voraussichtlich wieder annähern: Die Bank of England erwartet ein Minus von 9,5 Prozent für das Gesamtjahr. Das ist nicht so weit entfernt von der Prognose der EU-Kommission für die Euro-Zone: Hier soll die Wirtschaft um 8,7 Prozent schrumpfen.
Johnsons Krisenmanagement lässt jedoch daran zweifeln, dass er die zweite große Herausforderung der kommenden Monate besser meistern wird. Am Montag beginnt die siebte Runde der Freihandelsgespräche mit der EU. Diese sind so festgefahren, dass EU-Chefunterhändler Michel Barnier nach der letzten Runde warnte, ein Handelsabkommen sei unwahrscheinlich.
Die Coronakrise erhöht den Druck, eine Einigung zu finden. Johnson ist mehr denn je auf einen Deal angewiesen, wenn er seinen Ruf als inkompetenter Regierungschef reparieren möchte. Jeder zusätzliche Schlag für die britische Wirtschaft wäre grob fahrlässig.
Von einem ambitionierten Abkommen ist schon lange keine Rede mehr, beide Seiten haben die Erwartungen kontinuierlich gesenkt. Aber ein Minimalkompromiss zur Schadensbegrenzung sollte möglich sein.





