Kommentar Steigende Rohstoffpreise dürfen nicht zur Bremse für den Klimaschutz werden

Die Nachfrage nach dem Batterierohstoff Lithium boomt – und dürfte auch den Preis nach oben hieven.
Auf den ersten Blick haben die partikelfreien Reinräume in der Chipindustrie wenig gemein mit den staubigen Mondlandschaften eines Tagebaus. Doch die Rohstoffbranche und die Chipindustrie sind ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheint. Preisbewegungen in den beiden Märkten nehmen häufig die breite volkswirtschaftliche Entwicklung vorweg.
Und beide Branchen funktionieren nach dem gleichen „Schweinezyklus“: Eine sprunghaft steigende Nachfrage trifft zunächst auf ein starres Angebot. Die Preise ziehen an, daraufhin weitet die Industrie das Angebot aus. Der Wendepunkt kommt, wenn sich das Angebot von der Nachfrage entkoppelt, wenn die Industrie in fallende Preise hinein die Kapazitäten weiter ausweitet.
Die starre Reaktion der Angebotsseite bekommt die deutsche Industrie aktuell bei Mikrochips zu spüren: Zwar haben beispielsweise die Autobauer Rekordeinnahmen verbucht. Doch kaum ein Vorstandschef oder Finanzvorstand kam ohne den Hinweis auf den Chipmangel aus. Bei vielen Firmen dürfte der Engpass in den nächsten Quartalen durchschlagen und Umsatz und Marge beeinträchtigen. Zu hoffen bleibt, dass die Einkaufsmanager ihre Lehren aus dem Desaster ziehen.
Denn sonst droht in den nächsten Jahren ein neuer Engpass, der das Potenzial hat, Umsätze und Margen wichtiger Industriezweige unter Druck zu setzen: Batteriemetalle wie Lithium, Kobalt, aber auch Basismetalle wie Nickel und Kupfer könnten knapper oder zumindest deutlich teurer werden. Der Umbau zu einer emissionsfreien Industrie droht damit langsamer und kostenintensiver auszufallen. Schon jetzt wird die Rohstoffrally zur Wachstumsbremse. Dabei sind insbesondere die Spezialrohstoffe Lithium und Kobalt noch weit von ihren Allzeithochs entfernt.
Fest steht: Dem Druck, auf Elektrifizierung und erneuerbare Energien zu setzen, kann sich kaum eine Branche entziehen. Die Autobauer müssen CO2-Ziele für ihre Flotten erreichen, und selbst energieintensive Branchen wie Stahl oder Chemie müssen ihre Produktion in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral aufstellen. An Investitionen in Batterietechnologie, Strominfrastruktur oder regenerative Energien kommt kaum jemand vorbei. Und diese erfordern große Mengen Rohstoffe.
Allein der Bedarf an Lithium könnte sich bis 2030 beinahe vervierfachen, schätzt beispielsweise die Beratungsgesellschaft BCG. Ein ähnliches Nachfragewachstum erwarten Analysten für Kobalt. Auch an den Märkten für Kupfer und Nickel könnte der Klimaschutz zum preistreibenden Faktor werden.
Autobauer müssen sich frühzeitig um Rohstoffe kümmern
Einen Unterschied zum Chipmangel gibt es: Der Nachfrageüberhang zeichnet sich Jahre im Voraus ab. Daher sind beispielsweise die Autobauer gut beraten, sich den Zugriff auf die begehrten Rohmaterialien frühzeitig und langfristig zu sichern. Wer sich rechtzeitig kümmert, der hat die besten Chancen, Erlöse und Margen zu sichern.

Einige Branchenpioniere sind diesen Schritt bereits gegangen: Tesla kündigte beispielsweise an, in Zukunft selbst Lithium in Nevada abzubauen. Bis dahin hat sich der Autobauer mit Lithium aus chinesischer Produktion eingedeckt. Zudem fordert Tesla-Chef Elon Musk vorzugsweise via Twitter die Minenkonzerne auf, mehr Nickel zu produzieren. Bei Tesla ist die Sicherung der Rohmaterialien Chefsache.
Auch bei anderen Firmen steht das Thema weit oben auf der Agenda. Der Batteriezellenhersteller CATL hat sich etwa direkt an einer Kobaltmine beteiligt. Der Konkurrent Umicore hat sich mit dem Bergbauriesen Glencore auf langfristige Lieferverträge geeinigt. Und VW hat sich über den Batteriezulieferer CATL Zugriff auf Kobalt aus der Produktion von Glencore gesichert.
Diese Beispiele dürften Schule machen. Dennoch: In vielen anderen Unternehmen ist ein Umdenken nötig. Die Rohstoffbeschaffung galt lange Zeit als Problem der Zulieferer. Doch in Zeiten, in denen die Batterie nicht mehr eine beliebige Komponente, sondern das Herzstück des Automobils ist, reicht das nicht mehr. Es ist schlimm genug, wenn – wie beim Chipmangel – die Bänder für eine kurze Zeit stillstehen müssen. Doch neue Minenprojekte brauchen Jahre bis zur Produktion – ist der Markt leer gefegt, ist es schwer, neue Rohmaterialien zu beschaffen.
Industrie und Minenbranche stehen dabei zusammen in der Verantwortung: Langfristige Lieferverträge geben den Bergbaukonzernen Planungssicherheit und helfen dabei, neue, saubere Minen zu erschließen. Gleichzeitig muss jedoch auch die Minenindustrie die gewaltigen Cash-Reserven, die sie allein in der jüngsten Rohstoffrally angesammelt hat, in nachhaltige und verantwortungsvolle Pro-duktion stecken, statt ausschließlich die eigenen Aktionäre mit Dividenden zu beglücken.
Mehr: Beratungsgesellschaft BCG erwartet Superzyklus bei Batteriemetallen.
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