Kommentar Streitfall „Apple Tax“: Der App-Store braucht dringend eine Reform

Der digitale Marktplatz bietet Zugang zur Online-Economy, braucht aber faire Regeln.
Den Begriff „Apple Tax“ mag man in der Zentrale des Zwei-Billionen-Konzerns nicht. Gemeint sind Gebühren von 15 bis 30 Prozent, die Entwickler auf den Umsatz ihrer Apps an den App-Store abführen müssen. Und dafür erhielten diese schließlich umfassende Gegenleistungen – Zugang zu Abermillionen iPhone- und iPad-Nutzern etwa und ein sicheres Bezahlsystem.
„Apple Tax“ ist sicher ein Kampfbegriff von Kritikern wie Spotify oder Fortnite-Entwickler Epic Games. Doch es ergibt Sinn, Apples Regeln wie ein Steuersystem zu denken. Eines, das mit jeder Einzelfallregel und jedem Lobbyerfolg immer komplizierter wird, aber selten fairer.
In den vergangenen Tagen hat der sonst selbstbewusste i-Konzern gleich zweimal an Stellen seine Regeln geändert, die Entwickler zuvor kritisiert hatten. Erst senkte Apple die Gebühren für kleine Entwickler mit einem Umsatz von bis zu einer Million Dollar Umsatz von 30 auf 15 Prozent für das erste Jahr.
Dann verlängerte Apple eine Ausnahme, die pandemiegeplagten Unternehmen zugutekommt: Apps wie die Fitnesskurs-Plattform Classpass müssen für Kurse, die zwangsweise online stattfinden, keine Gebühren abführen und können deswegen notleidenden Yoga- oder Tanzstudios ihrerseits mehr Luft lassen.
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Das ist honorig, auch wenn die vergleichsweise geringen Einnahmen einem Konzern mit knapp 200 Milliarden Dollar Cashreserven kaum wehtun dürften. Doch an dem Beispiel wird deutlich, was für ein Regelwust im App-Store entstanden ist.
Dienstleistungen in der realen Welt, eine Uber-Fahrt oder eben ein via App gebuchter Kurs im Fitnessstudio, sind gebührenfrei. Weil die Studios auf Classpass zwangsweise auf Zumba via Zoom umsteigen mussten, forderte Apple plötzlich Gebühren.
App-Stores sind die wichtigsten Tore zur billionenschweren digitalen Ökonomie. Ihre Regeln legen fest, welche Geschäftsmodelle im Internet erfolgreich sein können. Und damit zunehmend: welche Geschäftsmodelle überhaupt erfolgreich sein können.
Kein Wunder also, dass die Kritik gegen Apple in diesem Jahr besonders laut geworden ist. Der Musikstreamingdienst Spotify etwa, der Apple bei der EU-Kommission verklagt. Der Spieleentwickler Epic Games, der Apple mit einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne samt Klage zwingen will, alternative Zahlungssysteme zuzulassen. Oder auch App-Stores anderer Anbieter vorzuinstallieren.
Grenzkosten als Unterscheidungskriterium
Weder die Extremposition der Kritiker noch Apples erst arrogante, dann von hastigen Korrekturen geprägte Haltung überzeugt. Nutzer schätzen die Übersichtlichkeit des Stores – und dass sie sich darauf verlassen können, dass auf das iPad ihrer Kinder weder Viren noch allzu aggressive Abzock-Apps kommen. Diese Leistungen darf sich Apple auch bezahlen lassen.
Trotzdem muss Apple seine Regeln reformieren. Die Trennung in physische und digitale Dienstleistungen ergibt nicht immer Sinn, wie das Classpass-Beispiel zeigt. Und die Ausnahme für Entwickler mit unter einer Million Dollar Umsatz wirkt mehr wie eine Maßnahme, um die Solidarität zwischen kleinen und großen Entwicklern aufzuweichen.
Das Steuerbeispiel hilft beim Verständnis: Stark ansteigende Stufen eines Steuertarifs treiben Steuerzahler zu Ausweichaktionen. Freiberufler etwa gehen früher in den Urlaub oder verschieben Aufträge ins nächste Jahr, um den Sprung über die nächste Stufe zu vermeiden.
Künftig kann man sich darauf einstellen, dass App-Entwickler ihre Kommunikation mit Nutzern in spe verändern, sobald sie sich der Millionen-Umsatzmarke nähern – so wie Netflix bereits heute schon nicht eingeloggte Nutzer aus der iOS-App lotst. Schließen sie woanders ihr Abo ab, können sie Netflix auf Apple-Geräten nutzen, ohne dass der Streamingdienst Gebühren zahlt. Dafür sorgt – weitere Ausnahme – die Regel für sogenannte Reader-Apps.
Tech-Analyst Ben Thompson hat eine Alternative zu Apples Regel-Flickwerk angeboten. Volle Gebühren sollen für Produkte und Dienstleistungen anfallen, die ihr Verkäufer ohne Grenzkosten erzeugen kann. Wer dagegen Kosten refinanzieren muss, kommt günstiger oder kostenlos davon.
Apples lautester Kritiker, Epic Games, müsste darin weiterhin den vollen Satz zahlen. Schließlich sind optische Upgrades und virtuelle Gegenstände, die Fortnite-Spieler massenhaft erwerben, einmal designt und programmiert ohne Mehrkosten beliebig reproduzierbar.
Spotify wäre dagegen von Anfang an günstiger davongekommen, weil es das Gros seiner Abo-Einnahmen an Musiklabels weiterreichen muss. Und Classpass wäre nie in Apples Visier geraten – schließlich erzeugen Onlinekurse ebenso Kosten wie die im Studio.
Mit einem neuen Steuersystem könnte Apple vielen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Auch wenn niemand gern Steuern zahlt: Echte Revolten dagegen, wie sie Apple erlebt hat, sind dennoch selten.
Mehr: Neue Regeln für den App-Store – Apple halbiert Gebühren für kleine Entwickler
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