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KommentarVon der Bittstellerin zur Partnerin – Der Weg der Ukraine nach Europa

Nach 30 Jahren Unabhängigkeit ist die Ukraine ein Armenhaus. Das lässt sich ändern – dafür braucht das Land aber auch Engagement aus Europa.Mathias Brüggmann 23.08.2021 - 20:00 Uhr Artikel anhören

Bisher ist die Ukraine ein Armenhaus in Europa, aber die Chance zur engen Integration mit der EU bietet enormes Wachstumspotenzial.

Foto: AP

Wie wichtig die Ukraine für die geopolitische Architektur der Welt ist, hat der frühere amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schon bald nach der Unabhängigkeit der zweitgrößten ehemaligen Sowjetrepublik vor 30 Jahren erkannt: „Wenn Russland die Kontrolle über die Ukraine zurückgewinnt, wäre es wieder eine Imperialmacht.“

Der Kreml ist seit einigen Jahren des Wundenleckens über den Zerfall der Sowjetunion dabei, das Nachbarland im Westen zu destabilisieren und sich schleichend wieder einzuverleiben. Die Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland war der erste Schritt, den Kiew dringend rückgängig machen will. Es folgte die Quasi-Annexion von Teilen des ukrainischen „Ruhrpotts“, des Donbass, durch von Moskau gelenkte Separatisten.

Dass ein Land unter diesen Bedingungen wenig prosperieren kann, ist verständlich. Zumal wenn die Entwicklung noch dadurch gestört wird, dass von Russland gesteuerte Parteien und Medien politischen Zwist entfachen. Die Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung waren zudem durch ein ständiges Hin und Her zwischen Ost und West geprägt. Die EU trägt dabei eine Mitschuld. Denn es wurde den Ukrainern auch bei der Orangenen Revolution gegen massive Wahlfälschungen 2004 nie klar versprochen, den Weg nach Europa gehen zu können. Erst sehr spät folgte ein Assoziierungsabkommen.

Tatsächlich haben die EU-Staaten auch viel zu spät erkannt, welches Potenzial die Ukraine bietet. Für die europäische Autoindustrie ist die Ukraine längst zu einem wichtigen Standort für Zulieferer geworden. Der größte osteuropäische EU-Staat Polen, wo unzählige deutsche Firmen ihre Produktion aufgebaut haben, nutzt den Nachbarn als dringend benötigte Quelle von Arbeitskräften. Auch zur Ernährung der Welt trägt das mit der berühmten Schwarzerde gesegnete Land in großem Maß bei.

Dass das Potenzial des größten Flächenstaats Europas lange nicht erkannt wurde, hat aber nicht nur mit Hindernissen von außen zu tun. Vielmehr hat die Ukraine selbst zu unentschlossen ihr Schicksal in die Hand genommen. Erst mit der „Revolution der Würde“, als das Volk auf Kiews Maidan-Platz 2013/14 gegen eine Rückwärtsrolle gen Moskau aufbegehrte, wurden entschlossene Schritte nach vorn gemacht. Seither tut Russland alles, um die Ukraine zu einem „failed state“ zu machen.

Chance für einen wirtschaftlichen Aufschwung

Erstmals hat die Ukraine eine echte Chance, sich zu einem wirtschaftlich aufblühenden Land mit den Werten der Freiheit zu entwickeln. So wie es die baltischen Staaten, Polen und andere osteuropäische Länder vorgemacht haben, aber dabei eben auch massiv mit EU-Mitteln gefördert wurden.

Die Ukraine startet – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – als eines der Armenhäuser Europas. Auch, weil die überbordende Schattenwirtschaft nicht in staatliche Statistiken einfließt. Vor allem aber, weil jahrzehntelang Reformen nur unzureichend angestoßen wurden. Erst zu Jahresbeginn wurde Ackerland so privatisiert, dass es bei Banken als Sicherheit für die Finanzierung von Investitionen genutzt werden kann – eine Reform, die Russland im Jahr 2000 umsetzte.

Und dann sind da noch die mächtigen Oligarchen, die die Schlüsselindustrien des Landes kontrollieren. Ihre Macht muss gebrochen werden wie einst die Dominanz der Rockefellers und Carnegies in den USA. Nur dann können wirklich Konkurrenten in Form ukrainischer Entrepreneure und ausländischer Investoren Wettbewerb und Wachstum an Dnjepr, Donau und Don bringen.

Freiwillig werden die Oligarchen ihre Macht nicht aus den Händen geben, dies wird die Bevölkerung erzwingen müssen – wenn sie die Barrieren aus dem Weg räumen will, die den Weg nach Europa erschweren: Monopole der Magnaten und eine von den Milliardären gekaufte Justiz statt Marktwirtschaft und Rechtsstaat. Die EU muss klare Anreize geben für eine weitere wirtschaftliche und politische Annäherung, und die Ukrainerinnen und Ukrainer müssen dann entscheiden, ob sie diesen Weg gehen wollen.

Verwandte Themen Ukraine Russland Europäische Union Außenpolitik Wirtschaftspolitik Europa

Vorteile hat die Annäherung der Ukraine an Europa für beide Seiten: Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt. Die Ukraine bietet ein riesiges Potenzial an Agrarrohstoffen, die in der Post-Öl-Ära immer bedeutender werden, beim Ausbau erneuerbarer Energien, mit denen dann auch grüner Wasserstoff für die EU produziert werden kann. Für Kiew wäre das eine alternative Einnahmequelle mit Blick auf den Wegfall der Transitgebühren für russisches Erdgas nach Inbetriebnahme der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2.

Die Ukraine kann vom Bittsteller zum echten Partner werden. Es ist die klassische Win-win-Situation, wie Unternehmer sie in der Wirtschaft lieben. Nur zugepackt werden muss beherzt von beiden Seiten.

Mehr: Im Schatten von Nord Stream 2 ergen sich enorme Chancen in der Ukraine

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