Kommentar Warum sich Aldi und Lidl die neuen, digitalen Lieferdienste zum Vorbild nehmen müssen

Die Zeit drängt für Lidl und Aldi, nicht nur digitale Technologie einzuführen, sondern das Denken zu ändern.
Auf den ersten Blick sieht die Welt der Discounter rosig aus. Lidl verzeichnet zweistellige Wachstumsraten bei Umsatz und Gewinn, bei der Flächenproduktivität sind alle Billiganbieter den etablierten Supermärkten wie Rewe und Edeka weit überlegen.
Und jetzt haben sogar die beiden Aldi-Schwestern Süd und Nord die alte Trennlinie eingerissen und machen zusammen einen Onlineshop auf. Mit einer gemeinsamen Gesellschaft überwinden sie ihre Aversion gegen den E-Commerce und gehen den ersten Schritt zum echten Onlinehandel.
Ist also alles in Ordnung bei den Discountern? Sind sie so aufgestellt, dass sie für die Zukunft gerüstet sind? Ein genauerer Blick zeigt: Das zu glauben wäre pure Illusion.
Bei Aldi, Lidl und Co. scheint immer noch die Vorstellung zu herrschen: Wir sind so stark, uns kann keiner ernsthaft angreifen. Solange wir nur immer neue Geschäfte in immer besseren Lagen aufmachen, steigern wir den Umsatz und wehren insbesondere die neuen, digitalen Konkurrenten ab.
Diese Selbstzufriedenheit ist jedoch gefährlich. Zwar macht der Onlinehandel immer noch nur rund zwei Prozent des Lebensmittelhandels aus. Doch die Infrastruktur und das Know-how, das die Start-ups im Lieferservice aufbauen, ist mittlerweile so umfangreich, dass dies selbst von Schwergewichten wie Lidl und Aldi nicht mehr ohne Weiteres aufzuholen ist.
Wenn das Onlinegeschäft mit Lebensmitteln Fahrt aufnehmen sollte – und das wird es irgendwann unweigerlich –, sind ganz andere Unternehmen vorbereitet. Es ist ein klares Signal, dass jetzt zwei digitale Lieferdienste für Lebensmittel, Hellofresh und Delivery Hero, in den Dax aufgestiegen sind.
Aldi-Onlineshop ist Amazon weit hinterher
In der Pandemiezeit haben viele Menschen erstmals Lebensmittel über das Netz bestellt. Und viele dieser Neukunden werden das auch weiter nutzen, weil sie die Bequemlichkeit schätzen gelernt haben. Außerdem wachsen Generationen nach, die gar nicht mehr einsehen, warum sie sich die Produkte selber im Geschäft abholen sollten, wenn es doch so einfache Möglichkeiten gibt, sie sich liefern zu lassen.
Und da muss man nicht mal auf die hippen Schnelllieferdienste wie Gorillas oder Flink schauen, die mit viel Investorengeld aufgeblasen werden und von denen keiner weiß, ob sie jemals profitabel arbeiten werden. Doch wenn selbst ein Start-up wie Picnic, das bisher nur in ausgesuchten Kommunen in NRW ausliefert, jetzt 600 Millionen Euro unter anderem von der Gates-Stiftung bekommt, dann müssen sich die etablierten deutschen Händler schon fragen, ob sie die richtigen Prioritäten setzen.
Wer sich beispielsweise den Onlineshop von Aldi anschaut, dem wird schnell klar, wie weit die Discounter hinterher sind. Da gibt es ein buntes Sammelsurium von Aktionsware, von der Windel bis zum Gartengrill, und schon das zweite präsentierte Produkt ziert die Banderole „online ausverkauft“. Und während Amazon viele Produkte schon am gleichen oder spätestens am folgenden Tag liefert, ist hier die Standardlieferzeit fünf bis zehn Werktage.
Online-Erfahrung zählt - auch an der Unternehmensspitze
Noch überdecken ausgerechnet die Folgen der Pandemie viele Schwächen der Lebensmittelhändler. Weil Restaurants und Kantinen geschlossen hatten, haben viele Menschen im Homeoffice das Selberkochen wiederentdeckt. Das hat nicht nur Lieferdiensten wie Hellofresh und Delivery Hero geholfen, sondern auch den stationären Supermärkten und Discountern einen Boom beschert. Doch dieser Segen ist bald vorbei – und dann werden die Defizite umso stärker sichtbar werden.
Deshalb ist es höchste Zeit, dass sich die etablierten Händler einen frischen Blick von außen ins Unternehmen holen. Die Schwarz-Gruppe mit ihren Töchtern Lidl und Kaufland ist da immerhin jetzt auf dem richtigen Weg. Ihr Digitalisierungschef Rolf Schumann kommt von SAP. Der künftige Lidl-Chef Kenneth McGrath bringt Erfahrungen vom US-Discounter Save A Lot mit, wo er bereits digitale Dienste wie Liefer- und Abholservice eingeführt hat. Und der jüngst übernommene Online-Marktplatz von Real soll Kaufland einen digitalen Schub geben.
Die Zeit drängt, nicht nur digitale Technologie einzuführen, sondern das Denken zu ändern. Bisher wissen die Händler häufig nicht mal genau, wer ihre Kunden sind und was sie sich wünschen. Genau das machen die Online-Konkurrenten anders: Sie kennen ihre Kunden ganz genau und stellen deren Wünsche ins Zentrum. Und das wird langfristig der Schlüssel zum Erfolg – wie es ja der Online-Primus Amazon schon vormacht.
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