Kommentar: Wenn es um die EU geht, können deutsche Richter nicht das letzte Wort haben

Wenn es um EU-Recht, geht muss er das letzte Wort haben und nicht die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaten.
Die Aufgabe von Verfassungsrichtern ist es, in umstrittenen Sachverhalten das letzte Wort zu sprechen. Umso schwieriger ist es, jemand anderem das letzte Wort zu überlassen. Das aber muss passieren. Denn Deutschland hat sich dazu entschieden, einen Teil seiner Souveränität an die EU abzugeben – mit all seinen Konsequenzen. So, wie die Bundesregierung auf EU-Ebene überstimmt werden kann, muss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) akzeptieren.
Die Richter in Karlsruhe haben sich im Mai 2020 über eine Entscheidung ihrer Kollegen aus Luxemburg hinweggesetzt. Aus ihrer Sicht brauchte es mehr Kontrolle über das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Letztlich hatte das Urteil aus Karlsruhe kaum praktische Relevanz. Umso mehr wundert man sich, dass die Richter den Vorrang des EU-Rechts nicht akzeptieren wollten.
Das Verhalten ist gefährlich. Wenn die EU-Kommission untätig bliebe, könnten sich andere nationale Gerichte an Deutschland ein Vorbild nehmen. Damit würden sie es den Regierungen leicht machen, sich nicht an EU-Recht zu halten. Versucht wird das immer wieder: Ausländer werden schlechter behandelt als Inländer, heimische Unternehmen werden bevorzugt, Gerichte werden in ihrer Unabhängigkeit beschnitten.
Wichtig im Sinne des Rechtsfriedens
Dass die Betroffenen dagegen in Luxemburg klagen können, ist wichtig für das Funktionieren der EU. Es wäre darum nicht nur im Sinne des Rechtsfriedens, dass das BVerfG EuGH-Urteile akzeptiert – und zwar auch dann, wenn es sie für falsch hält, wenn es sich für kompetenter hält oder wenn es meint, handwerkliche Fehler erkannt zu haben. Wenn der EuGH in diesen Fragen nicht das letzte Wort hat, dann tritt nicht allein das BVerfG an seine Stelle, sondern 27 nationale Gerichte, die alle eine eigene Auffassung davon haben, was Recht ist und was nicht.
Was nun genau passieren muss, ließ die EU-Kommission offen. Sie kann nur einen Brief an die Bundesregierung schicken, in dem sie den Missstand benennt. Wie er abzustellen ist, ist nicht ihre Sache.
Helfen würde wohl, wenn das Bundesverfassungsgericht bei künftigen Entscheidungen in Europa-Fragen auf den Europäischen Gerichtshof verweist. Vielleicht müssen aber auch Bundesregierung und Bundestag für Klarheit sorgen. Letztlich entscheiden sie damit, wie ernst sie es mit der europäischen Einigung meinen.





