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KommentarWer geimpft ist, darf nicht bevorzugt behandelt werden

Menschen mit Corona-Impfung zu bevorzugen wäre ein Verstoß gegen die Grundrechte anderer. Eine Impfpflicht können nur die Parlamente beschließen.Thomas Hanke 02.12.2020 - 04:12 Uhr Artikel anhören
Foto: Burkhard Mohr für Handelsblatt

Mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus dürften in den kommenden Monaten zugelassen werden. Mit der Verfügbarkeit des Vakzins rückt die Frage näher, ob Impfungen verpflichtend sein sollen. Nein, haben die Regierungen großer Länder wie Frankreich und Deutschland bereits geäußert.

Doch eine andere Debatte nimmt umso mehr an Fahrt auf: Sollen Menschen, die geimpft sind, bevorzugt werden? Alan Joyce, der Chef von Australiens Airline Qantas, will nur noch Personen an Bord lassen, die unter der Nadel waren. „Das werden wohl alle Kollegen so handhaben“, sagte er vor einer Woche. Wohl ein Irrtum: Statt Zustimmung hat Joyce bislang einen Shitstorm geerntet. Mehrere große Internet-Reisebüros drohten gar damit, die Zusammenarbeit mit Qantas zu beenden.

Eine Bevorzugung von Geimpften wünschen sich aber auch Vertreterinnen aus der Politik. In der Schweiz sagte eine Bundesrätin, wer sich impfen lasse, der solle vorrangig Zugang zu öffentlichen Einrichtungen erhalten.

Noch weiter geht Christa Schweng, österreichische Präsidentin des Wirtschafts- und Sozialausschusses der EU (WSA). Jobs nur noch für Corona-Geimpfte, dafür hätte sie durchaus Verständnis: „Natürlich kann ein Arbeitgeber sagen, ich will nur geimpfte Leute“, erklärte sie Ende vergangener Woche in einem Interview. Viele Leser werden vom WSA noch nie etwas gehört haben: Seine offizielle Aufgabe ist es, Europas Sozialpartner gegenüber den Institutionen der EU zu vertreten.

Unbestreitbar verringert ein wirksames Vakzin die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geimpfter eine andere Person ansteckt. Hat die Allgemeinheit nicht ein Interesse daran, diese „Unverwundbaren“ freier reisen zu lassen, sie im Alltag und bei der Arbeit besserzustellen, statt sie wie potenzielle Covid-Opfer mit Auflagen einzuhegen?

Nein. Denn wer die einen bevorzugt, benachteiligt die anderen. Was der Qantas-Chef sich vorstellt, bedeutet ja, Nichtgeimpfte, nicht mehr an Bord zu lassen. Und wenn die Überlegung der WSA-Chefin verwirklicht würde, kämen Jobsuchende, die aus vielerlei Gründen keine Impfung bekommen konnten – oder sie ablehnen –, nicht mehr zum Zuge.

Alles, was in diese Richtung zielt, ist wie eine Impfpflicht durch die Hintertür. Allerdings wäre sie verbunden mit einem Wildwuchs willkürlicher Entscheidungen von Personen, die nichts dazu legitimiert. Jede Verkehrsgesellschaft könnte frei nach Gusto Menschen von der Beförderung ausschließen. Jedes Amt, jedes Kino, jede Sportstätte könnte ihnen den Zugang verwehren. Der Arbeitsmarkt würde gespalten in Menschen mit und ohne Impfung.

Nur ein Staat kann Impfpflicht einführen

Selbstverständlich würden die Ausgegliederten dagegen klagen. Voraussichtlich würden sie in vielen Fällen recht bekommen. Ein Arbeitgeber kann sich für oder gegen einen Bewerber entscheiden, aber für zulässige Gründe für eine Ablehnung gibt es klare Maßstäbe, unter anderem durch eine europäische Richtlinie gegen Diskriminierung.

Man kann einen Kandidaten nicht deshalb ausschließen, weil einem die Hautfarbe, die Religion, das Alter oder die Herkunft nicht gefallen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde auch jede Firma vor Gericht unterliegen, die postuliert: Wir stellen nur Corona-Geimpfte ein.

Glücklicherweise ist das so. Eine Demokratie kann nicht Einzelpersonen oder Institutionen die Entscheidung überlassen, wer unbedenklich ist und wer nicht. Denn damit sind massive Eingriffe in Grundrechte verbunden.

Nur ein Staat kann eine Impfflicht einführen. In der Bundesrepublik gilt sie seit November 2019, gegen Masern. Frankreich hat seit 2018 sogar elf Impfungen als verbindlich vorgeschrieben. In diesen Fällen debattiert das Parlament, der Souverän. Er wägt das Für und Wider ab. Dabei geht es um Seuchen, gegen die keine Maske und kein Abstandsgebot hilft und um Vakzine, die seit Jahrzehnten bekannt und erprobt sind.

Impfgegner können sich um eine politische Mehrheit bemühen und die Parlamentsentscheidung von den höchsten Gerichten überprüfen lassen. In Deutschland setzte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Impfflicht auseinander und entschied, sie sei gerechtfertigt.

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Werden Geimpfte nicht bevorzugt und gibt es keine Impfpflicht, dann wird der unbestreitbare Vorzug der Corona-Impfung, nämlich das Erreichen einer weitgehenden Immunität der Gesamtgesellschaft, langsamer eintreten. Denn es besteht kein verstärkter Anreiz dafür, sich impfen zu lassen. Außer dem des wohlverstandenen Interesses jedes aufgeklärten Individuums. Doch genau darauf setzt eine liberale Gesellschaft.

Würden wir davon abweichen, könnte das die Impfung sogar noch unpopulärer machen. Die Folge wäre, dass die mit beispiellosem Aufwand erforschten Impfstoffe weniger statt mehr eingesetzt würden. Am Ende würde das den Impfschutz verlangsamen statt beschleunigen. Auch dieser ganz pragmatische Grund spricht dafür, sich nicht auf den wackeligen Boden eines Vorrangs für Geimpfte zu begeben.  

Mehr: Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Coronakrise in unserem Newsblog. 

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