Kommentar: Wie die Politik den Wasserstoff-Hochlauf vergeigt


Der Politik mangelt es weder an gutem Willen noch an Geld für den Wasserstoff-Hochlauf. Rechnet man alles zusammen, reden wir in den kommenden Jahren über zweistellige Milliardenbeträge, die in Aussicht gestellt und zum Teil schon ausgezahlt wurden – für Klimaschutzverträge, für die Beschaffung von Wasserstoff im Ausland, für den Ausbau des Wasserstoff-Kernnetzes. Allein die Stahlhersteller haben Förderbescheide über sieben Milliarden Euro erhalten.
Doch der Rückzieher, den Arcelor-Mittal jetzt verkündete, ist ein Beleg dafür, dass Geld allein kein Erfolgsgarant ist. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die EU hat jedoch für die Produktion von Wasserstoff eine abschreckende Regulierung geschaffen, die weltweit Kopfschütteln auslöst.
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Für grünen Wasserstoff, der unter Zuhilfenahme von Strom aus erneuerbaren Quellen per Elektrolyse hergestellt wird, gilt in der EU: Der Strom muss aus Anlagen stammen, die neu errichtet wurden. Außerdem muss der Vorgang der Wasserstoff-Elektrolyse zeitlich eng mit der Stromerzeugung aus den Erneuerbaren-Anlagen zusammenhängen. Übertragen auf E-Autos würde das bedeuten: Die Fahrzeuge dürfen nur geladen werden, wenn eigens dafür errichtete Windräder oder Photovoltaik-Anlagen gerade Strom erzeugen.
Seit Jahren weisen potenzielle Investoren darauf hin, dass das inakzeptabel ist. Es bleibt unverständlich, dass die Regulierung nicht längst radikal geändert wurde. Für die Produktion von blauem Wasserstoff, der auf Erdgasbasis hergestellt wird, plant die EU-Kommission gerade Bedingungen, die ähnlich rabiat sind.
Arcelor-Mittal hat gute Gründe für die Absage
Daraus erwachsen Unsicherheiten, die Arcelor-Mittal zur Absage bewegt haben. Man habe Zweifel daran, dass der benötigte Wasserstoff jemals in ausreichender Menge und zu akzeptablen Preisen zur Verfügung stehen werde, erklärte das Unternehmen.
Der Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie dient nicht allein dem Klimaschutz. Er ist, wenn er richtig organisiert wird, zugleich ein riesiges Innovationsprojekt von globaler Strahlkraft. Er kann die Resilienz stärken und die Basis für eine echte Kreislaufwirtschaft bilden.
Es droht die Kubanisierung der Stahlbranche
Wenn die klimafreundliche Stahlproduktion in Europa aber scheitert, droht die „Kubanisierung“ der Stahlindustrie: Die bestehenden Anlagen werden bis zum Letzten notdürftig in Betrieb gehalten und ausgequetscht, Investitionen in zukunftsträchtige Technologien finden anderswo statt.




Wie das mit der Zusage von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Einklang zu bringen ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Resilienz Europas zu stärken, ist ein Rätsel.
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