Kommentar Wie Niklas Östberg oder Steve Angel die Vergütungs-Konventionen sprengen

Der Chef des Lieferdienstes Delivery Hero setzt neue Maßstäbe in der Vorstandsvergütung.
Was waren das für Zeiten, als die Lichtgestalten der deutschen Wirtschaft die Debatte um Vorstandsvergütung beherrschten. Nehmen wir Josef Ackermann, der – erstmalig in Deutschland – mit einem zweistelligen Millionengehalt in den Nullerjahren für große Aufregung sorgte.
Damals, das muss man erwähnen, zählte Ackermanns Arbeitgeber, die Deutsche Bank, aber noch zur Crème de la Crème. Gemessen jedenfalls an den Milliardengewinnen des Finanzinstituts.
Heftig waren auch die Reaktionen, als ein Martin Winterkorn für seinen Spitzenjob beim Arbeitgeber Volkswagen für ein Jahr Tätigkeit Richtung 20 Millionen Vergütung strebte und der Aufsichtsrat in weiser Voraussicht ein paar Millionen davon strich. Damit es nicht ganz so dramatisch aussah. Die öffentliche Erregung konnte das kaum mildern.
Solche Ausreißer sind Seltenheit geworden, die Vergütungspraxis der führenden deutschen Unternehmen dürfte generell als angemessener bewertet werden. Erst recht, wenn man bedenkt, dass es im vergangenen Jahr mit Postchef Frank Appel nur ein einziger CEO eines Dax-30-Konzerns so gerade eben in den zweistelligen Millionenbereich geschafft hat. Im Median schaffen es die Vorstandsvorsitzenden gerade mal auf fünf Millionen Euro Jahreseinkommen. Das wirkt doch alles sehr beruhigend.
Doch der Blick auf das Krisenjahr 2020 ist trügerisch. Wir haben keineswegs den Peak einer Vergütungsentwicklung erreicht. Wir stehen eher am Beginn einer neuen Periode. Und die wird uns womöglich weit höhere Vorstandsgehälter bescheren.
Amerikanische Verhältnisse auf dem Gehaltszettel
Im führenden Aktienindex Dax sind die Vorläufer dieser Entwicklung längst angekommen. Beim Industriegasekonzern Linde beispielsweise, der sich zunehmend europäischen Standards entzieht. Dessen amerikanischer CEO Steve Angel kassierte für das Geschäftsjahr 2019 fast 44 Millionen Euro. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Doch angesichts der Top-Ergebnisse des deutsch-amerikanischen Konzerns dürfen wir mindestens mit einem ähnlichen Niveau rechnen.
Ein anderer Fall ist der Dax-Aufsteiger Delivery Hero. Auch der hat noch keine Daten vorgelegt. Aber: Es lohnt, sich neben den Namen Ackermann und Winterkorn auch den Namen Niklas Östberg zu merken. Der verdiente 2019 mit Grundgehalt und Nebenleistungen zwar nur 350.000 Euro und damit im Dax-Vergleich lächerlich wenig. Dafür würde mancher Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens nicht mal antreten.
Doch die Aktienoptionen Östbergs haben es in sich. Sie könnten die Vergütung des Lieferservice-Gründers binnen kurzer Zeit in Millionen-Größenordnung katapultieren. Der Ausübungspreis für seine 846.600 Optionen lag 2019 bei 5,71 Euro, der Börsenkurs des Dax-Neulings liegt aktuell bei 109 Euro. Da muss man nicht viel rechnen.
Angel wie Östberg sprengen die Vergütungs-Konventionen, auf die wir uns nach jahrelangem Kampf um Transparenz und Mäßigung hierzulande verständigt hatten. Selbst Konzerne, die sich anfangs hartnäckig weigerten, die individuellen Bezüge ihrer Vorstandsmitglieder offenzulegen, und das auch noch in allen Details, haben beigedreht.
Doch Daimler-Chef Ola Källenius oder Telekom-Boss Tim Höttges werden nach anderen Prinzipien bezahlt als die Chefs eines amerikanisierten Konzerns wie Linde oder eines Start-ups wie Delivery Hero.
Nun wird es nicht allzu viele Unternehmen geben, die mehr oder weniger auswandern wie Linde. Dafür werden verstärkt junge Unternehmen der Digitalwirtschaft an die Börse streben. Das ist gewünscht. Und es ist auch gut so, dass tradierte und zementierte Börsenindizes auf diese Weise aufgebrochen und belebt werden.
Bezahlmodell kommt auf den Prüfstand – Aktienoptionen kommen wieder
Zur Vergütung der Führungskräfte dieser Unternehmen allerdings dürften uns kontroverse Debatten bevorstehen. Deren Bezahlung folgt einer anderen Logik. Traditionell geführte Konzerne gingen zuletzt dazu über, ihre Vorstände mit gut ausgestatteter Grundvergütung bis zu drei Millionen Euro an sich zu binden und dem Risiko in Form von Boni und Tantiemen zwar Raum, aber eben nicht zu viel Raum zu geben. Das auch, um zu Recht kritisierte Exzesse zu vermeiden.
Start-ups setzen dagegen voll auf Risiko. Top oder Flop lautet die Regel. Und wer es mit einem nicht mal zehn Jahre alten Unternehmen bis in das Premiumsegment der Börse schafft, dem ist großzügige Entlohnung dafür gewiss. Den Aktienoptionen sei Dank.
Noch haben Start-up-Vorstände Welpenschutz. Warum sollte man ihnen den Erfolg neiden? Aktionäre und Öffentlichkeit werden sich aber mit Sicherheit in einigen Jahren fragen, ob Leistung und Vergütung in einem angemessenen Verhältnis stehen, spätestens wenn die Gründer keine Gründer mehr sind, sondern angestellte Manager mit Unternehmensbeteiligung.
Der Staat hat das Thema Managergehälter ab 2021 verpflichtend auf die Tagesordnung der Hauptversammlungen gesetzt. Das hätte er sich sparen können. Es rückt von allein wieder in den Blickpunkt.
Mehr: Boni stützen Gehaltskonten der Dax-Chefs – Post-CEO Frank Appel ist Topverdiener.
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