Kommentar zur Airline-Konsolidierung In der Luftfahrt zählt Größe

Auf dem europäischen Airlinemarkt ist weniger Konkurrenz wünschenswert.
Die rote Laterne, die die Lufthansa-Aktie am Dienstag lange Zeit im Börsenindex Dax trug, dürfte Carsten Spohr nicht besonders verärgert haben. Es waren in erster Linie Gewinnmitnahmen von Investoren für den Kursrückgang verantwortlich – nach den kräftigen Zuwächsen seit Jahresbeginn wurde Kasse gemacht. Der Lufthansa-Chef weiß, dass es für ihn zurzeit gut läuft. Die Verdopplung des Halbjahresgewinns untermauert das eindrucksvoll.
Vor allem könnte Spohrs übergeordnetes Ziel aufgehen: Er will in Europa sowohl im Premiumgeschäft mit der Marke Lufthansa als auch im Low-Cost-Segment mit Eurowings führend sein. Dabei sollen Übernahmen und Partnerschaften helfen. Der Konzern sieht sich als Treiber und Gestalter einer Konsolidierung der europäischen Luftfahrt, in deren Folge die Zahl selbstständiger Airlines sinken wird.
Diese Strategie wirft zunächst Fragen auf. Denn grundsätzlich gilt: Je mehr Alternativen es in einem Markt gibt, desto stärker ist der Wettbewerb und desto besser sind in der Regel die Preise für die Kunden. Auch die Luftfahrt funktioniert nach diesem simplen Mechanismus. Das merkt etwa derjenige, der von Frankfurt nach München fliegen will. Die Strecke wird derzeit nur von Lufthansa angeboten, entsprechend teuer ist der Flug.
Wenn Lufthansa beziehungsweise der Billigableger Eurowings mittelfristig tatsächlich weitere Airlines in welcher Form auch immer absorbieren werden, reduzieren sich dadurch für die Passagiere auf vielen Verbindungen unbestreitbar die Alternativen. Die Gefahr steigender Preise ist gegeben.
Vier Airlines, 80 Prozent Marktanteil
Wie stark ein weitgehend konsolidierter Markt die verbleibenden Teilnehmer zu einer aus ihrer Sicht vorteilhaften Preisgestaltung verführt, zeigt das Beispiel USA. Dort erreichen die vier größten Airlines einen Marktanteil von über 80 Prozent. Mitte 2015 startete das US-Justizministerium gegen die Anbieter eine bis jetzt noch nicht abgeschlossene Untersuchung. Der Verdacht: künstliche Verknappung von Tickets mit dem Ziel, die Preise in die Höhe zu treiben. Und doch: Die Konsolidierung in der europäischen Luftfahrtindustrie ist alternativlos. Sie kann am Ende sogar durchaus positiv für die Kunden sein.
Erstens: In Europa erreichen die vier größten Fluggesellschaften gerade einmal zwischen 40 und 50 Prozent Marktanteil. Wenn über eine Konsolidierung gesprochen wird, dann geht es in erster Linie um kleinere Nischenanbieter. Es geht nicht wie in den Staaten um den Zusammenschluss großer Airlines zu neuen Giganten. Spohr mag zuweilen von einer Marktdominanz wie die seiner US-Kollegen träumen, weiß aber, dass diese unerreichbar ist.
Zweitens: Die Luftfahrt ist eine kapitalintensive Industrie. Wer die Kunden in dem knallharten Wettbewerb überzeugen will, braucht modernes Gerät mit einer modernen Kabinenausstattung. Das Beispiel Lufthansa zeigt, dass es grob fahrlässig ist, die notwendigen Investitionen in die eigene Infrastruktur hinauszuzögern. Es ist noch nicht so lange her, dass Lufthansa-Kunden den in die Jahre gekommenen Business-Class-Sitz als Rutsche verunglimpften.
Nun ist Lufthansa emsig dabei, diesen Investitionsstau abzuarbeiten. Das kostet viel Geld, das verdient werden will. In der Luftfahrt gilt aber ein Lehrsatz der Betriebswirtschaft in besonderem Maße: Größe zählt. Nur wer groß genug ist, kann bei Themen wie etwa der Wartung oder dem Catering sowie beim Kauf oder Anmieten von Flugzeugen skalieren, also die Kosten so weit drücken, dass sie wettbewerbsfähig sind. Die Konsolidierung sorgt also dafür, dass der Passagier in modernen Flugzeugen mit einer modernen Ausstattung, etwa was digitale Möglichkeiten an Bord angeht, Platz nehmen kann.
Der Wettbewerb ist international
Drittens: Wer eine europäische Konsolidierung kritisch unter die Lupe nimmt, darf nicht vergessen, dass der Wettbewerb in der Luftfahrt längst international ist. Nicht nur Ryanair und Easyjet werden auch künftig für Konkurrenzdruck sorgen. Auch die Rivalen vom Persischen Golf oder aus der Türkei brauchen die europäischen Kunden, selbst wenn sie aus politischen Gründen vorübergehend schwächeln. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch die Airlines aus China Europa stärker für sich entdecken.
Viertens: Luftfahrt ist ein sensibles Geschäft. Das betrifft nicht nur das Thema Sicherheit. Es geht auch um Verlässlichkeit. Das Beispiel Air Berlin hat vielen Passagieren schmerzlich vor Augen geführt, was eine bilanziell angeschlagene und strategisch schlingernde Airline für Folgen haben kann. Was nützt dem Kunden Wettbewerb, wenn er nicht fliegen kann? Wem ist geholfen, wenn er nervenaufreibend selbst nach alternativen Reisemöglichkeiten suchen muss?
Natürlich mag es wünschenswert sein, zwei große Airlines und daneben viele Nischenanbieter in Deutschland zu haben. Führt dieser Wettbewerb allerdings dazu, dass Dienstleistungen gar nicht mehr oder in miserabler Qualität erbracht werden, ist der Preis dafür auch aus Kundensicht eindeutig zu hoch.
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