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Pro & Contra Impfreihenfolge ändern, um schneller durch die Pandemie zu kommen?

In Deutschland liegen vier Millionen Impfdosen unverbraucht auf Lager. Sollten wir damit auch niedriger priorisierte Gruppen impfen? Zwei Meinungen.
29.03.2021 - 10:56 Uhr 8 Kommentare
Sollte die Impfreihenfolge geändert werden, um schneller durch die Pandemie zu kommen? Quelle: imago images/Westend61
Eine Krankenschwester zieht Impfstoff auf.

Sollte die Impfreihenfolge geändert werden, um schneller durch die Pandemie zu kommen?

(Foto: imago images/Westend61)

Pro: Gebt den Impfstoff frei!

Von Kevin Knitterscheidt

Auf den ersten Blick scheint Deutschland seine Bürger in rasendem Tempo gegen Covid-19 zu impfen: Alle 0,4 Sekunden, so lässt das Impf-Dashboard des Gesundheitsministeriums die interessierte Öffentlichkeit wissen, wird hierzulande derzeit eine Impfdosis verabreicht. Seit Sie diese Zeilen zu lesen begonnen haben, haben also 30 Menschen eine Impfdosis erhalten. Das klingt vielleicht nach viel – ist aber in Wahrheit sehr wenig.

Denn gemessen daran, wie viel Impfstoff von den Herstellern Biontech/Pfizer, Moderna und Astra-Zeneca bereits geliefert wurde – das sind rund 15,6 Millionen Dosen –, haben wir bislang lediglich drei Viertel der theoretisch verfügbaren Menge verabreicht. Ein Grund dafür ist, dass die Bundesländer teilweise Impfdosen zurückhalten, um bereits Geimpften auch wirklich die nötige Zweitimpfung verabreichen zu können.

Doch der Umfang, in dem das passiert, ist grotesk: So hielt etwa das Bundesland Nordrhein-Westfalen zeitweise die Hälfte des gelieferten Impfstoffes auf Halde. Andere Bundesländer wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern halten es ähnlich.

Dabei senkt bereits die Erstimpfung beispielsweise mit dem Biontech-Impfstoff nach Daten aus Israel das Infektionsrisiko um mehr als 80 Prozent. Dieser vergleichsweise hohe Schutz wird vielen Impfwilligen aber vorenthalten – und das bloß, um das Infektionsrisiko jener, die bereits eine Erstimpfung erhalten haben, um noch ein paar weitere Prozentpunkte zu senken.

Statt alle Risikogruppen zu 100 Prozent zu immunisieren, sollte die Politik deshalb schnell dazu übergehen, die Impfreihenfolge zu ändern. Ob der Kassierer im Supermarkt, die Busfahrerin oder Schüler und Lehrer: Sie alle sind Multiplikatoren, können sich potenziell mit dem Virus infizieren, es weitertragen und damit die Pandemie verlängern.

Es war richtig und gerecht, die Risikogruppen zu priorisieren, als noch nicht klar war, wann wie viel Impfstoff zur Verfügung steht. Doch schon jetzt übersteigt die Zahl der Lieferungen die ursprüngliche Prognose des Gesundheitsministeriums vom Februar um zwei Millionen Impfdosen. Dabei wird sich die Liefersituation dank weiterer Zulassungen in den nächsten Wochen eher verbessern als verschlechtern.

Wenn also Haus- oder Betriebsärzte dabei helfen können, das vorhandene Vakzin schneller zu verimpfen, dann gerne – und so schnell wie möglich. Falls dabei ein Risikopatient seine Zweitimpfung nicht erhält, ja, dann ist das ungerecht. Noch ungerechter ist aber jede Impfdosis, die auch nur eine Nacht unverbraucht im Kühlschrank liegt.

Contra: Ruhe und Vernunft bewahren

Von Mathias Brüggmann

Die Politik steckt in der wohl größten Vertrauenskrise seit dem Weltkrieg: Eine Kanzlerin, die eine rasante Kehrtwende hinlegt in Sachen Osterruhe, also harter Lockdown über Ostern ­ obwohl sie weiß, dass es dringend kurzer, harter Maßnahmen bedarf, um die Infektionszahlen nicht ins Unermessliche steigen zu lassen. Korrupte Unionspolitiker, die sich mit Maskenbeschaffungen bereichern.

Und Impf-, Test- und Regel- Chaos im Hause von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der ausgerechnet von seinem als Totalversager wahrgenommenen Ministerkollegen Andreas Scheuer (CSU) unterstützt werden soll.

Es ist also vollkommen verständlich, dass die meisten Menschen mit ihrer Geduld am Ende sind, müde und wütend. Deshalb werden jetzt auch Rufe laut, bestehende Impf-Reihenfolgen über Bord zu werfen und aus allen Nadeln mit Vakzinen zu schießen. Doch das ist gefährlicher Populismus.

Wer die aus gutem Grund und unter Berücksichtigung medizinischer, ethischer und moralischer beschlossene Impfreihenfolge angreift, setzt unser Gesundheitssystem und unsere Gesellschaft einem desaströsen Stresstest aus.

Einen um Leben und Tod sowie um den Wert des Lebens: Wenn nicht die Alten und die Risikogruppen über 50 Jahren zuerst und schnell geimpft werden, dürfte wegen der rasant steigenden Infektionszahlen und dem immer höheren Anteil von Corona-Mutanten die Zahl der Intensivbetten in Kürze nicht mehr ausreichen.

Eine Triage, also das Selektieren, wer noch behandelt wird und wem nicht mehr geholfen wird, würde unausweichlich. Und das ist das Entsetzlichste, was eine so reiche und durch sozialen Ausgleich bemühte Gesellschaft wie die deutsche erschüttern würde.

Denn es ist offensichtlich: Ein 30-jähriger Fabrikarbeiter hat bessere Chancen, ungeimpft eine Coronainfektion ohne lebensbedrohliche Symptome durchzustehen, als eine 60-Jährige nach einem Herzinfarkt oder ein 20-Jähriger, dem mittels Dialyse regelmäßig das Blut gereinigt werden muss. Das berücksichtigt die Impfreihenfolge, Betriebsärzte können dies gar nicht auf dem Schirm haben.

Deshalb gilt: An der Reihenfolge festhalten, zügig mit allem vorhandenen Impfstoff die dazu Vorgesehenen zum Impfen einladen, die zweite Dosis etwas zeitlich verschieben und die Betriebsärzte vor allem zum Testen einsetzen.

Denn um Infektionen zu verhindern, vor allem am Arbeitsplatz, in vollen Verkehrsmitteln, in Schulen und Kindergärten muss so professionell wie möglich getestet werden. Und für den Rest der Ärzteschaft heißt es in Impfzentren und Hausärztinnenpraxen: impfen, impfen, impfen.

Mehr: Wie Unternehmen helfen könnten im Kampf gegen die Pandemie

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8 Kommentare zu "Pro & Contra: Impfreihenfolge ändern, um schneller durch die Pandemie zu kommen?"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Herrn Brüggmann ist zu empfehlen, statt zur Einleitung herumzupöbeln (passen Worte wie „Totalversager“ zur „Netiquette“ ?) , sich an die Grundregeln guten Journalismus zu erinnern: Trennung von Meinung und Information (dazu müsste man allerdings zunächst Informationen sammeln, diese auf Wahrheit und Vollständigkeit prüfen - offensichtlich zu mühsam !)
    Dann käme vielleicht in einer sachliche Analyse heraus, was GB, USA und Israel besser machen, wo unsere Defizite begründet sind und welche Maßnahmen zur Abhilfe geeignet wären.
    Wenn man schon nachweislich nicht gut ist, dann ist moralinsaures „weiter so“ wenig hilfreich.

    Einen schönen Tag mit Aufstieg zum Qualitätsjournalismus wünscht Ihnen

    sr

  • @Herr Andre Peter,
    uneingeschränkt teile ich Ihre Meinung.
    Ärzte und Mediziner die in Verwaltungen arbeiten sind und bleiben zunächst einmal
    Verwaltungsangestellte, wie in der jüngsten Vergangenheit unter Beweis gestellt.

  • Ein kurzer Einblick in die Realität: am gestrigen Sonntag wurde meine Frau aufgrund ihres beruflichen Kontextes an einer Schule geimpft. Sie war ca. 20 Minuten vor ihrem Termin anwesend und kam sofort an die Reihe, weil - und hier setzt meine Irritation bzgl. des Gemeckers zur Impfstrategie ein - ein großer Teil der Termine nicht wahrgenommen, ja sogar noch nicht einmal abgesagt wurde, wenn man aus welchen Gründen auch immer (Osterferien? Schönes Wetter? Astra Zenica Angst?) den Termin nicht wahrnehmen möchte. Dadurch steigert man nicht nur selbst die Impfquote nicht, sondern verbaut auch noch anderen impfwilligen Mitbürgern egal welcher Priorität die Chance, die Lücke kurzfristig zu stopfen. Dies ist mMn auch eine Form von Impfgerechtigkeit, bei de sich jede:r der/die sich so verhält mal ganz grundsätzlich ob seines - sorry - unsolidarischen (oder darf man hier schon von asozial sprechen?) Verhaltens mal hinterfragen sollte, bevor hier großartig gemeckert wird. Und der gestrige Tag war wohl nach Aussage der Menschen vor Ort, die sich für unsere Gemeinschaft dort engagieren, kein Ausnahmefall an Wochenenden.
    Ja, es ist vielleicht nicht bequem, sich sonntags auf die mitunter auch mal längere Reise in unserem Fall 40 Autominuten) zu machen, um sich seine Dosis verabreichen zu lassen. Aber es kann auch nicht sein, dass die Schlange samstags am Baumarkt länger ist als vor dem Impfzentrum ...

  • Den Hausärzten mehr Impfdosen zu überlassen, ggf. auch zu Lasten der bürokratischen Impfzentren scheint mir die einzige Lösung für zügiges Impfen. Wer einen Impfstoff ablehnt (meist AstraZeneca) sollte sich wieder hinten anstellen müssen, egal welche Risikogruppe er angehört.

  • Eine Öffnung der Impfreihenfolge halte ich erst ab erfolgreicher Erstimpfung der Priorisierungsgruppe 2 (95 % +) für sinnvoll. Der Ruf nach sofortiger Öffnung der Reihenfolge scheint mir häufig von egoistischen Motiven begleitet zu sein, zumal in den kommenden drei bis fünf Wochen absehbar noch nicht genug Impfstoff verfügbar sein wird, um die Hausärzte flächendeckend und verlässlich zu bestücken.

    Inwieweit man die Gruppen 3 und 4 anschließend zusammenfasst und die Impfreihenfolge ab etwa Mai / Juni damit auch ein Stück weit der Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger überlässt, erscheint mir hingegen durchaus diskutabel - zumal spätestens mit Beginn der Sommerferien und möglichen impfbedingten Reisebeschränkungen bzw. -privilegien die Hitzigkeit der Diskussion zunehmen dürfte.

  • Grundsätzlich sollten die Hausärzte die Impfinstanz Nummer 1 sein. Sie sind erstens nicht dumm und zweitens haben Sie durch den direkten Patientenbezug die beste Übersicht. So können auch übrig gebliebene Impfdosen verimpft werden. Risikogruppe hin oder her - jeder der geimpft ist hilft dabei die Pandemie schneller in den Griff zu bekommen.

  • Die Priorisierung kann man aus meiner Sicht den kompetenten Hausärzten überlassen. Sie kennen zudem ihre Patienten und können deutlich besser beraten als irgendwelche Zentren.
    Die mir bekannten Ärzte schätze ich als korrekt ein.
    Wenn das Impfen dadurch beschleunigt wird - gerne!
    @Herr wilfried siebert
    Wahrscheinlich wären jene, die jetzt noch priorisiert anstehen, bereits geimpft.
    Ob die momentane Lage nicht "ungerecht" ist? Maskenchaos + Korruption. Testversprechen läuft ins Leere. Impfdosen nicht vorhanden, EU exportiert trotzdem. Der Begriff "Gerechtigkeit" überfordert mich und wohl jeden in diesem Zusammenhang.
    "Ungerechtigkeit" ist ein moralisch-juristischer Begriff - Pragmatismus ist angebracht. Wie Herr Lindner sagt: Impfturbo!

  • jetzt Reihenfolge ändern, bringt natürlich neue Ungerechtigkeiten. Die kurz vor der Impfung standen, müssen sich wieder hinten anstellen.

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