Morning Briefing 10. April Vier Bundeskanzler in Meseberg

Senior Editor
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
nachdem Deutschland viele Monate nur behelfsweise regiert wurde, gehen jetzt gleich vier Bundeskanzler zu Werke. Da ist zunächst einmal der Bayer in Berlin, Innenminister Horst Seehofer, der seiner CSU mit dem notorischen Zwang zur Islam-Debatte aufhelfen will. Gefolgt von Jens Spahn, der sich direkt in eine für ihn viel gloriosere Zukunft beamt und als Wertunionist so eifrig Agendasetting (Hartz IV, Law and Order) betreibt, dass man glatt seinen bescheideneren Ressortzuschnitt (Gesundheit) vergisst. Als Dritter im Bund wirkt Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), der sein Finanzministerium in Erwartung höherer Würden konsequent als Nebenkanzleramt ausbaut. Und es gibt natürlich noch die in der Abendsonne Ihrer Karriere zaudernde Angela Merkel, irgendwie verstummt bei so viel Kakophonie.

In solchen Situationen helfen Befindlichkeitsrunden und ein Stuhlkreis weiter, weshalb das Kabinett heute und morgen im brandenburgischen Meseberg nach Eintracht sucht. Gesucht wird ein Arbeitsprogramm, Zeitplan inklusive, sowie auch die vielbeschworene Rahmenrichtlinienkompetenz. Was bedeutet: Der weibliche CEO der Republik müsste einmal kräftig auf den Tisch klopfen. Die Unionsminister sollten „sich endlich auf ihre Arbeit konzentrieren, statt sich in Überschriften zu überbieten“, sagte SPD-General Lars Klingbeil unserer Redaktion, dafür müsse Merkel sorgen. Doch der Neokonservativismus von Spahn und die SPD-Wiedererweckungsmission von Scholz sind garantiert stärker, als es jedes Koalitionspapier sein kann. Meseberg wird nette Bilder liefern, nicht mehr.
Man wird später vielleicht einmal darüber räsonieren, ob die Demontage des Donald Trump nicht an jenem Tag begann, als das FBI das Büro seines persönlichen Anwalts filzte. Der Einsatz in Manhattan passierte gestern, und nach allem, was zu hören ist, wurden dabei umfangreiche Korrespondenzen des Consigliere Michael Cohen in Sachen Stephanie Clifford alias „Stormy Daniels“ abtransportiert. Ms. Clifford ist jene Porno-Darstellerin, mit der Trump trotz ihrer Behauptungen nie eine Affäre unterhalten haben will und die dennoch von Cohen 2016 eine Zahlung von 130.000 Dollar erhielt. Der Anwalt hat der Trump-Organisation seit mehr als einem Jahrzehnt gute Dienste erwiesen.

In Ungarn sind die Tage der Rache angebrochen. Der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán hatte über die Liste der Staatsfeinde, die nun zu bekämpfen sind, bereits vor seinem Wahlsieg gesprochen und allerlei Verschwörungstheorien entwickelt. Ganz oben steht der Mann, der dem damals liberalen Orbán einst ein Stipendium gewährte und der mit seiner Stiftung für offene, liberale Gesellschaften eintritt: George Soros. Die ungarische Kampagne „Stop Soros“ hat den jüdischen Milliardär, der mit seiner Familie im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis aus Budapest geflohen war, zum Verursacher nationaler Probleme gemacht. Für Orbáns Volksfestival gilt eine Erkenntnis von Hugo von Hofmannsthal: „Für gewöhnlich stehen nicht die Worte in der Gewalt des Menschen, sondern die Menschen in der Gewalt der Worte.“
Die Kämpfe der Großmächte werden heutzutage mit PR-Agenturen und an Börsen geführt. Hier hat die jüngste Sanktionsverschärfung der USA gegen Russland sowie etliche Putin-Oligarchen heftige Folgen gehabt. An der Börse in Moskau rasselten die Kurse nach unten, der Aluminiumkonzern Rusal zum Beispiel verlor zeitweise 50 Prozent des Werts. Auch an anderen Börsen büßten jene Unternehmen stark ein, die in Russland engagiert sind. Leidtragender in der Schweiz ist etwa der Sulzer-Konzern (Aktienkurs minus 16 Prozent), der dem inkriminierten Milliardär Wiktor Wekselberg über dessen Renova-Holding gehört. Aus optischen Gründen soll Wekselbergs Anteil nun von 63 Prozent auf knapp 49 Prozent sinken, Sulzer selbst übernimmt das Paket. Auch bei Schmolz+Bickenbach und OC Oerlikon dominiert der scheue russische Investor. Eindeutig: Das aktuelle Börsentief trägt den Namen „Wladimir“.

Wenn Sie für diesen Dienstag eine Flugreise gebucht haben, werden Sie womöglich zu jener Schar Unglücklicher gehören, die Opfer einer Streikaktion werden. Da die Gewerkschaft Verdi die öffentlich Bediensteten an den Flughäfen Frankfurt, München, Köln und Bremen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen hat, streicht die Lufthansa mehr als 800 Verbindungen, also jeden zweiten Flug. Der Kollateralschaden ist hoch und dürfte Verdi-Chef Frank Bsirske zum Spaßverderber der Republik machen.
Chinesisches Kapital in Afrika, Südostasien, Osteuropa und vielen kapitalistischen Unternehmen, technologische Ansprüche durch Firmen wie Alibaba, der Dauerkonflikt mit den USA - kaum ein Tag vergeht, an dem die rote Volksrepublik nicht in den Abendnachrichten auftaucht. Über die neue Supermacht redet Chefredakteur Sven Afhüppe heute Abend im Handelsblatt-Wirtschaftsclub in Düsseldorf mit Stefan Baron und Guangyan Yin-Baron. Die beiden haben ein hilfreiches Buch vorgelegt: „Die Chinesen - Psychogramm einer Weltmacht“. Es ist mir gelungen, zwei Karten für den Club zurückzulegen ([email protected]). Wie immer: Das Los entscheidet.
Ich wünsche Ihnen, falls nötig, wonach sich die Deutsche Bank gemäß eigener Aussage so sehr sehnt - nach etwas mehr „Jägermentalität“. Es grüßt Sie herzlich
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor / Handelsblatt-Autor
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